Die Klimakleber als autoritäre Krisenmanager

Die Regierung müsse öffentlich versprechen, dass sie „die mit den erarbeiteten Maßnahmen verbundenen Gesetzesvorhaben in das Parlament (einbringt). Wir fordern außerdem, dass die Regierung, die für die Maßnahmen und Gesetzesvor­haben nötige Überzeugungsarbeit im Parlament leistet und dass sie öffentlich zusagt, nach Verabschiedung der Gesetze diese in einer beispiellosen Geschwindigkeit und Entschlossenheit umzusetzen.“ Das klingt nicht nur nach Nötigung eines Verfassungsorgans, dies ist auch als solche intendiert. Anders als die Verlautbarungen der längst verblichenen K-Gruppen, die jenen der Letzten Generation zumindest im Duktus ähneln und die diese mit der kindischen Drohung versahen, dass die Arbeiterklasse bei Nichterfüllung ihrer Forderungen entschlossen auf deren Umsetzung drängen werde, verfügen die Klebeexperten über wirkliches Drohpotenzial: Statt die Regierungsmacht, wie irgendwelche K-Gruppen oder die Möchtegern-Putschisten um den Fürsten zu Reuß, will die Letzte Generation lediglich die Etablierung eines rigiden Maßnahmenstaates, der auf Wahlen oder das politische Mandat pfeift, weil er das Volk hinter sich zu organisieren weiß. Für ein stillschweigendes Einvernehmen von Klimaaktivisten und Staat spricht bereits heute, dass eine kriminelle und von Klima-Lobby-Gruppen finanziell unterstützte Organisation, die Straftaten öffentlich begeht und dazu nicht minder öffentlich aufruft, weitgehend gewähren kann und pflichtvergessene Richter, die auch gegen notorische Wiederholungskleber keine Haftstrafen verhängen, nicht nach dem Disziplinarrecht gemaßregelt werden. Die Propaganda für Klimaschutz als Massenverarmungsprogramm trifft als attraktive Idee auf einen Staat und sein politisches Personal in der ökonomischen Krise. Vorläufig soll nach dem Willen der kaum 1.000 Aktivisten zählenden Letzten Generation und ihrer weit zahlreicheren Sympathisanten ein Doppelstaat für die „beispiellose Geschwindigkeit“ bei der Durchsetzung unpopulärer Maßnahmen sorgen. Dessen delegitimierte und entmachteten Institutionen sind angehalten durchzusetzen, was die imaginierten 99 Prozent aller Deutschen in ihren Räten beschließen. „Keinerlei Zweifel“ an diesen Phantasie-Zahlen, aber auch an den von als seriös geltenden Institutionen dauernd ermittelten satten Mehrheiten für eine Klimapolitik, die lediglich das Versprechen bereithält, den Enkeln eine grüne Welt zu hinterlassen, in der alle den Gürtel kapitalkonform enger zu schnallen haben, dürfen geltend gemacht werden, wenn das Volk spricht. „Der Gesellschaftsrat stärkt den gewählten Gremien den Rücken für eine entschiedene Klimapolitik,“ denn die Teilnehmer des Rates lieferten, im Gegensatz zu Parlament und Regierung, unbeeinflusst „von Interessensgruppen, Lobbyverbänden und medialen Scheindiskursen“, „Entscheidungs- und Gestaltungsgrundlagen, für die keinerlei demokratische Zweifel geltend gemacht werden können“. (23) Alles weiter regeln die Klimakleber.

Dieses Konzept blieb natürlich nicht ohne Gegenrede. Noch in der Sendung „Hart aber Fair“ widersprach der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag Konstantin Kuhle der Aktivistin van Baalen mit den Worten: Die „Entscheidungen in Deutschland trifft der Deutsche Bundestag, weil er demokratisch durch Wahlen legitimiert ist, und zwar von der ganzen Bevölkerung. Sie können nicht Leute auslosen und die mit der Macht ausstatten, über das Wohl und Weh des ganzen Landes zu entscheiden. Das ist undemokratisch“ und würde „dem Willkürstaat Tür und Tor“ (welt.de, 31.1.2023) öffnen. Van Baalens Einlassungen seien nach Ansicht des Focus online-Redakteurs Christian Böhm gar „ein Fall für den Verfassungsschutz“, da die Letzte Generation damit „nicht weniger als die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie“ (focus.de, 3.2.2023) fordere. Im Nachgang wurde jedoch z.B. beim Redaktionsnetzwerk Deutschland darüber diskutiert, inwieweit ein solches Gremium eine „Innovation für die Demokratie“ darstelle oder ob sich Deutschland damit auf den „Weg in die Rätedemokratie“ (rnd.de, 1.2.2023) begebe.

Vorsichtshalber bringen die Klima­aktivisten ihre Forderung nach Abschaffung des politischen Systems mit einer staatstragenden Beschwörung des Grundgesetzes (24) vor. Sie propagieren die Diktatur des Gesellschaftsrats als von der Klimakrise diktierte und vom Bürgerrat verkündete Neutralisierung der Blockierer in der Regierung, die im Bündnis mit den Wohlhabenden unsere Zukunft verspielten. Die politische Klasse hätte den „Gesellschaftsvertrag […] gebrochen“, indem sie „und das reichste 1 Prozent am Kurs der Klimavernichtung festhält“ (25) und so die Interessen der Mehrheit missachte.

Einwände, Rücksichten oder Umwege können nicht zugelassen werden, und so geht es auch nicht um die Verluste, die auf dem Weg zum Ziel eintreten könnten. Die Letzte Generation macht sich nicht die Erarbeitung von Konzepten gegen den Klimawandel zur Aufgabe, die die Regierung ja längst vorgibt, sondern drängt allein auf ihre politische Durchsetzung. Sie lässt sich dabei weder vom Unmut über Habecks Neuregelung des Gebäudeenergiege­setzes noch über das gescheiterte Bürgerbegehren zum Volksentscheid „Berlin 2030 Klimaneutral“ vom März 2023 irritieren. Organisationen wie die Letzte Generation versuchen ein allgemeines Krisenempfinden bei ihrem akademischen Zielpublikum klassenspezifisch zur Klimafrage umzudeuten und zielen damit schlussendlich auf eine Expertokratie ab.

Mit der Verwendung des Wortes Räte wird eine libertäre Tradition angerufen, ohne jedoch den geringsten Bezug zu Methoden und Zielsetzungen der historischen Arbeiterräte aufzuweisen, die der Mehrung von Freiheit und Eigentum in einer versöhnten Gesellschaft verpflichtet waren. Bezeichnenderweise gerät die Letzte Generation, die bisher nur wegen ihres gegen Autofahrer und Fluggäste gerichteten Aktivismus’ angefeindet wird, nicht mit ihren autoritären Zielen in Misskredit. Im Gegenteil erfährt sie besonders von der SPD und mehr noch den Grünen nahestehenden Medien und Experten beständig Respektsbekundungen für ihre Konsequenz und Radikalität, also ihre Rücksichtslosigkeit.

Das autoritäre Bekenntnis wird nicht nur in libertärer Verpackung geliefert, sondern bildet auch einen Aktionismus aus, der mit einer Verherrlichung des Selbst­opfers (26) zu höheren Zwecken einhergeht. Diese Anleihen beim todesverfallenen Frühchristentum oder bei der heroisch gemeinten, in Wirklichkeit einen Märtyrerkult begründenden Behauptung, Revolutionäre seien lediglich Tote auf Urlaub, sind schon deshalb unverzichtbar, weil die Ziele der Bewegung noch nicht einmal vage von einer utopischen, menschheitsbeglü­ckenden Hoffnung getragen sind – und sei es, wie bei den frühen Christen wenigs­tens für das Leben nach dem Tod. Mehr als eine „klimaasketische Läuterung“ (nzz.ch, 8.2.2023) zur Sicherung des Überlebens der Gattung ist nicht im Angebot. Stattdessen wird die Gemeinde in Ton und Inhalt auf die absolute Unterwerfung unter eine trostlose Realität ohne Erlösung eingeschworen, die man als die Unterwerfung unter die vom Kapitalverhältnis in der Krise gestiftete gesellschaftliche Realität zu übersetzen hätte: „Wenn wir die klimawissenschaftliche Realität anerkennen, müssen wir bis 2030 dem Zeitalter fossiler Rohstoffe ein Ende bereiten. Das geben nicht wir vor, sondern die physikalische Realität.“ (27)

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