Auf TikTok verbreitet sich das seltsame Phänomen der “verschleierten Christinnen”

Ist die Mantille plötzlich wieder in Mode gekommen, nachdem sie jahrelang außer Mode war? Die Zeitung La Croix hat jedenfalls festgestellt, dass immer mehr junge Frauen, die sich als Christinnen bezeichnen, sich mit einem “christlichen Schleier” auf dem sozialen Netzwerk TikTok zeigen. Ein Phänomen, das nach Einschätzung der Wochenzeitung noch nicht lange existiert – höchstens ein paar Monate -, aber offenbar an Bedeutung gewinnt. Wenn man die jungen Frauen nach den Gründen fragt, erhält man tausend verschiedene Erklärungen: Die eine möchte “an ihre spanischen Wurzeln anknüpfen”, indem sie zur Mantille zurückkehrt, die andere versichert, sie wolle die Jungfrau Maria nachahmen und Gott näherkommen. Auch die Worte “Neuanfang”, “Stärkung im Glauben” usw. werden genannt.

Die Profile der Betroffenen sind ebenso vielfältig: Sie können katholisch, protestantisch oder orthodox sein. Die Zeitung La Croix schreibt, dass es sich um eine seltsame spirituelle Mischung handelt, aus der die jungen Christinnen schöpfen, um ihr Glaubensleben zu beleben. Ein Beispiel für diesen Synkretismus ist die immer wiederkehrende Verwendung des Ausdrucks “Möge Gott uns helfen”, der aus der islamischen Tradition stammt. “Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat alles, was mit körperlichen Praktiken zu tun hat – wie das Fasten – stark an Bedeutung verloren”, erklärt die Soziologin Isabelle Jonveaux, die sich auf Online-Religionen spezialisiert hat, gegenüber La Croix: “Es gibt einen Mangel an Zwängen im Katholizismus, der mit Praktiken gefüllt wird, die manchmal aus anderen religiösen Traditionen stammen”.

In gewisser Weise, so die Soziologin weiter, würden diese jungen Mädchen versuchen, “konkrete Formen der Askese” und ein tieferes religiöses Leben wiederzufinden. Es ist dann recht einfach, sich vom Islam inspirieren zu lassen, dessen Schleier oder Ramadan äußere Ausdrucksformen sind, die vielleicht prägnanter erscheinen als andere christliche Traditionen. Aber abgesehen von dieser möglichen islamischen Inspiration scheinen diese TikTok-Christinnen “in einer Form von Okumenismus von allem etwas aufzunehmen und abzuschauen”, insbesondere in Bezug auf die drei Hauptzweige des Christentums.

“Seit den 1970er und 1980er Jahren verwischen sich in den individuellen Praktiken der christlichen Gläubigen die Grenzen zwischen dem, was ihrer eigenen Tradition entspricht, und dem, was auf äußere Einflüsse zurückgeht”, so Isabelle Jonveaux gegenüber La Croix und verweist insbesondere auf den Beitrag “östlicher Religionen wie des Buddhismus”. Ein Phänomen, das durch das Internet und die sozialen Netzwerke mittlerweile stark verstärkt wird.

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