Alles Aiwanger oder was? Der traurige Kommödiantenstadel

Leonie Rabea Große, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons

Was für ein würdeloses Schauspiel: Seit über einer Woche tobt im krachledernen Freistaat die politische Schlammschlacht nach dem Motto „jeder gegen jeden“. Mit Ruhm und Ehre bekleckert hat sich dabei niemand. Eher schon ist die ganze beschämende Episode ein neuerliches Beispiel dafür, dass die Deutungsmacht über den historischen Faschismus in Deutschland genau jener sozialen Gemengelage in den Schoß gefallen ist, die dieses Privileg am wenigsten verdient.

Meine Damen und Herren, so richtig doppelplusgut sieht am Ende der Flugblatt-Affäre oder auch Causa Aiwanger wirklich niemand aus. Weder Landesvater und „Bratwurstbarönchen“ (Gerald Grosz dixit) Söder Markus, noch dessen in die mediale Mangel genommener Vize und auch nicht der wackere Deutschlehrer, der 35 Jahre lang, wie der Lindwurm aus der Siegfried-Sage, auf seinem größten Schatz gelegen haben muss, dem widerlichen, aber auch alarmierenden Geschreibsel eines seiner damals noch minderjährigen Schüler.

Und natürlich geht auch die in München erscheinende SZ, diese Sogenannte Zeitung, nicht als moralische Siegerin vom Platz. Sie hat den Verdachts- und Schmierenjournalismus nun zur staatstragenden Angelegenheit geadelt, um der müde kränkelnden Auflage neues Leben einzuhauchen und die bayrische Sozialkleptokratie über die 10-Prozent-Hürde zu schreiben.

Der Rest der deutschen Haltungsjournaille war gerade blöd genug, auf den fahrenden Flugblatt-Zug aufzuspringen ohne überhaupt zu wissen, um was es geht. Vor allem aber auch ohne die geringste intellektuelle Neugier zu zeigen, das herausfinden zu wollen.

Moralische Kompetenz unterhalb des Messbereichs

Es liest sich, wie die Besetzungsliste einer Farce – der Lehrer, der Landesvater, die Presse und der Aiwanger. Aber noch nicht mal auf diesem Niveau spielt das Stück.

Der Söder Markus stand mit seiner Formation bis letzte Woche in Umfragen gar nicht so schlecht da: Bis zu 41 % wurden seiner CSU im bayrischen Wahlkampf vorhergesagt. Das sind Werte, von denen man und frau in Bullerbü, der deutschen Welthauptstadt, nicht mal zu träumen wagt. Doch der Landesvater hat ein Problem: Zwischen all den blau-weißen Rauten wird ihm die Welt zu eng – kein Raum für Wachstum. Dafür müsste er zu den Saupreußen ziehen, nach Berlin, in den Sand der märkischen Heide.

Sein Koalitionspartner und Königsmacher, der Aiwanger von den Freilaufenden Wählern, wird auf dem Weg zu höheren Ämtern auf der Strecke bleiben, das weiß Söder ganz genau (selbst wenn er sonst nicht viel weiß). Warum also nicht gleich die Kettensäge ansetzen und sich von dem Ast trennen, auf dem man in den letzten vier Jahren nur zu gemütlich saß, um die politische Seele baumeln zu lassen? Gesagt, getan. Es muss alles noch viel „grüner“ werden in Bayern. Und in Bullerbü sowieso. Da braucht es eine moderne, fortschrittliche Großstadt-CSU, findet der Landesvater. Kein bayrisches Urgestein. Also kann der Aiwanger auch weg.

Der Lehrer

Man verrät niemandem mehr ein Geheimnis, wenn man ihn Franz Graf nennt und erwähnt, dass er Aiwanger aus dem Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg kennt. Der Lehrer hegte 35 Jahre lang einen tiefen persönlichen Groll auf seinen Schüler. Die menschliche Kleinheit, die dazu gehört, kann nicht unerheblich sein. Wie Fafnir, der Lindwurm, bewachte er sein halbes Menschenleben lang sein Lieblings-Hassobjekt: ein widerliches Flugblatt des ehemaligen Schülers. Sein Rheingold.

Er bewahrte es vermutlich im Giftschrank auf und holte es nur zu besonderen Anlässen heraus – womöglich, um damit Ruth Müller zu imponieren, Generalsekretärin der bayrischen Sozialkleptokratie. Und um zu zeigen, dass er als Genosse nicht völlig nutzlos war – bei den Gemeinderatswahlen von Mallersdorf-Pfaffenberg wurde „Graf, Franz, Lehrer, i.R.“ (was vielleicht IM heißen sollte) zuvor mit 248 Stimmen schließlich nicht mal zum Hundefänger gewählt.

Die roten Socken freuten sich im kleinen Kreis darauf, „die braunen Socken“ (Graf dixit) endlich in die Pfanne zu hauen. Denn wie bereits Andy Warhol wusste: In Zukunft wird jeder für eine Viertelstunde berühmt.

Allein, die Beweislage war dürftig, und so musste Graf mit seinen inzwischen 75 Jahren noch einmal den lukrativen Ruhestand verlassen, um wie ein altes Klatschweib jederlei Geschlechts auf einem Ehemaligentreffen der Abiturienten (m, w, d, x) des Burkhart-Gymnasiums mit einem Bild des heranwachsenden Aiwangers aus dem Jahrbuch hausieren zu gehen. In der Hoffnung, dass es ihm Wasser für den Betrieb seiner Klatschmühle liefert.

Auf Vigilante-Grafs do-it-yourself Fahndungsfoto war der Aiwanger noch immer keine zwanzig Jahre alt, aber der Pädagoge konnte von seiner Geschichte nicht lassen: Da war noch eine alte Rechnung fällig. Und nun war die Gelegenheit günstig, sie einzutreiben.

Wehe, wenn sie losgelassen

Für die Sogenannte Zeitung war es ein gefundenes Fressen: Schon lange darbte das müde Blatt und war doch einst die Leib- und Magenspeise des politisch-korrekten Einbildungsbürgertums gewesen. Damals hatten man und frau eine geradezu staatstragende Funktion und war jetzt uninteressanter als die meisten Katzenvideos.

Da kam der Graf Franz wie gerufen. Nur zu schade, dass Aiwangers Flugblatt von vor 35 Jahren so schlecht in Sonderbeilagen, Werbekampagnen, Rubellosen und dergleichen zu verwursten war, der Reibach hätte viel größer sein können. Also wieder kein Lied von der Glocke, sondern nur eine schrumpelige Glökl-Bratwurst.

Die bayrische Sphinx

Und nun zu Aiwanger selbst: Hat er oder hat er nicht? Sicher wissen kann es niemand – anscheinend nicht mal er selbst. Denn Aiwanger sind eigentlich zwei: Er und sein Bruder. Und beide sind in einer Funktionssymbiose vereint, in der die Verantwortung ganz locker und flockig vom einen auf den andren übergeht. Zwar wurde das moralisch inkriminierende Schriftstück beim großen Vorsitzenden der Freilaufenden Wähler gefunden. Er bestreitet aber, es verfasst zu haben. Stattdessen hält sein Bruder den Kopf dafür hin.

War er’s oder war er’s nicht? In den Qualitätsmedien gilt die Unschuldsvermutung schon längst nicht mehr. Von antiken Rechtsgrundsätzen will die Haltungsjournaille nichts wissen, von Sippenhaft umso mehr: Instinktsicher fühlen die selbsternannten Anti-Faschisten sich zu zentralen Unrechtskategorien des nationalsozialistischen Führerstaats hingezogen – das Klischee über Odysseus und die Sirenen drängt sich da auf.

In minderschweren Fällen empfehlen führende Sportreporter dem Aiwanger bloß, doch einfach zu gestehen, damit’s a Ruh hat. Etwas gestehen, das er womöglich gar nicht getan hat? Warum denn?

An ihrer Schreibe sollt ihr sie erkennen

So viel zur moralischen Reife der deutschen Journaille nach drei Generationen Aufarbeitung der Vergangenheit. Aus ihr scheinen man und frau jederlei Geschlechts in Krautland nur das gelernt zu haben, was ihnen politisch in den Kram passt. Finanziell passen muss es ja sowieso, Hypotheken sind auch schon wieder teurer geworden. Derweil tauchen neue Hinweise aus der Bevölkerung auf: Der Aiwanger machte damals auch den Hitler-Gruß. Andere haben davon nichts gesehen. Der Beschuldigte bestreitet alles und zeigt erste Erinnerungslücken.

Und schließlich steigt der Landesvater in einem Bierzelt auf das Podium und spielt ein altes Stück in neuem Glanz. Nennt sich Führer-Rede im Sportpalast und war einst sehr beliebt. Man kennt das Genre: Hier ein bisschen zu stark das R rollen, getrieben-hysterische Phrasierung, psychotischer Augenaufschlag – gelingt immer und klumpt nicht, um es mit Uncle Ben’s zu sagen. Die Nummer ist so billig und so blöd, dass sie sogar Staatsclown Böhmermann kann; immerhin soll der kleine Ersatz-Adolf eins der genuinsten Talente dieser kognitiv eher schlicht gestrickten „Krawallschachtel“ sein (Schmidt Harald dixit).

Einfach herrlich, wie der Söder Markus den Aiwanger imitiert, findet das pseudo-akademische Lumpenproletariat aus den geistigen Elendsvierteln der restlos gleichgeschalteten linksalternativen Einheitsmeinung. „Haha“, lacht die Diktatur des Kommentariats in den sozialen Medien, „das macht der aber toll, wie der den Führer spielt. Haha!“

In der Zwischenzeit entscheidet der bayrische Generalstaatsanwalt, das Verfahren gegen Gerald Grosz einzustellen. Grosz hatte den Landesvater einst „Södolf“ genannt, natürlich nur zu Zwecken der Satire und im Gebrauch seiner Meinungsfreiheit. Es ist also wahrscheinlich nichts Persönliches zwischen beiden passiert.

Alles Gaga oder was?

Und all das nur, weil der Noch-Landesvater mit seinem Vize kein vernünftiges Gespräch „unter Männern“ führen möchte. Ein Gespräch, in dem er ihm sagt: Es ist aus, ich suche mir eine Neue.

Was sich inzwischen bis auf die hinterste Alm herumgesprochen haben sollte: Der Söder Markus liebäugelt mit den Grünen, und wer am 8. Oktober seine Kreuzchen bei der bayrischen Christdemagogie macht, kann eigentlich auch gleich die Ökopathen wählen. Auf dass die grüne Raupe Nimmersatt dann auch in Bayern die blühenden Kohl-Landschaften kahl frisst.

Um es mit einem alten SPD-Wahlkampfsticker zu sagen: Wer sich von Söder einseifen lässt, wird von Ricarda Lang und Annalena Baerbock rasiert. Autsch! Wenn der Noch-Landesvater als politischer Sieger aus der von ihm vielleicht nicht losgetretenen, aber doch nach Kräften angefeuerten Schlammschlacht hervorgeht, und wenn er dereinst die „Grünen“ nach der Methode Aiwanger abserviert, weil auch diese Koalition auf ihn abgefrühstückt wirkt, dann machen die beiden grünen Top-Frauen jederlei Geschlechts ihn hoffentlich eine Weißwurst kürzer.

Die verfolgende Unschuld

Es ist also der neuste Triumph des linksalternativen Tugendterrorismus made in Germany: Wie man die Erinnerung an die Opfer – und damit auch diese Opfer selbst – seines historischen Faschismus für eine drittklassige politische Schlammschlacht instrumentalisiert.

Nicht nur völlig schamlos, völlig ohne jede Hemmung angesichts ihres historischen Leids. Sondern, dass man und frau dafür auch noch beklatscht und bewundert werden will, das ist wirklich das Bemerkenswerteste an diesem Selbstzeugnis, das die polit-mediale Kaste sich mal wieder selbst ausgestellt hat. Es sagt eine Menge mehr über sie als über die angebliche Sache selbst. Haben wir eigentlich sonst keine Probleme? Oder ist es grade so, dass sich in Deutschland die guten Nachrichten überschlagen, wenn man die Zeitung liest? Rhetorische Fragen.

Vielleicht ist diese provinzielle Clown-Show auch einfach nur als Tragikomödie zu verstehen. Als letzte Zuckung einer Klasse des Bewusstseins, die ahnt, dass ihre Begriffe immer weniger ausreichen, um die wirkliche Welt unter ihre Deutungshoheit zu zwingen. Oder, wie es bei Wittgenstein heißt: Die Grenzen der Sprache sind die Grenzen meiner Welt. Im besten Gagaland aller Zeiten war diese Welt schon immer recht klein, und das auch menschlich gesehen. Die Selbst- und Fremdzurichtung auf Höhe des Zeitgeists sieht vor, diese Grenzen noch enger zu ziehen. Irgendwann wird deshalb der Punkt erreicht sein, an dem die Ideologie ihr eigenes Wasser nicht mehr hält.

 Ramiro Fulano / https://haolam.de/artikel/Deutschland/56956/Alles-Aiwanger-oder-was-Der-traurige-Kommdiantenstadel-.html