Nordafrikaner berauben und vergewaltigen Frau im Zug

Es ist wohl ein Musterbeispiel für einen Straffall, den man populistisch ausschlachten könnte, wenn man möchte: Drei nordafrikanische Asylbewerber rauben eine 50-jährige Schweizerin auf einer Zugfahrt in einem SBB-Speisewagen aus. Einer der Täter vergewaltigt das Opfer auch noch.

Als das gestohlene Mobiltelefon später bei einem Asylbewerber auftaucht, können die mutmasslichen Tatbeteiligten ausfindig gemacht werden. Ein Hauptbeschuldigter wird acht Monate nach der Tat verhaftet. Er ist nicht geständig und macht vor Gericht keinerlei Aussagen zur Sache.

Es war der 20. März 2020, etwa um 22 Uhr 15: Eine etwa 50-jährige Dame, die in einer leitenden beruflichen Stellung tätig ist, arbeitete an ihrem Laptop im Speisewagen eines fahrenden Zuges. Sie war leicht alkoholisiert. Es war am Anfang des ersten Shutdowns der beginnenden Pandemie. Der Speisewagen war nicht bedient und sonst leer.

Etwa 10 Minuten vor Einfahrt des Zuges in den Zürcher Hauptbahnhof setzte sich plötzlich ein junger Mann an den Tisch der Frau und fragte sie, weshalb er hier nichts zu trinken bestellen könne. Gleichzeitig wurde die Frau von hinten von einem zweiten Mann überrascht, der sie unvermittelt auf den Mund geküsst haben soll.

Die Frau erschrak und stand reflexartig auf. Laut Anklage drückte ein dritter Mann ihr in diesem Moment den Kopf hinunter und entwendete eine goldene Kette im Wert von 2000 Franken, die sie um den Hals trug. Einer der Männer soll daraufhin der Frau die Hosen heruntergezogen und sie von hinten im Stehen wenige Sekunden lang ohne Benützung eines Kondoms vergewaltigt haben.

Nebst der Halskette nahmen die Täter auch das Mobiltelefon, den Laptop und das Portemonnaie des Opfers mit. Im Bahnwagen gab es keine Überwachungskameras. Die drei Männer wurden aber nach dem Aussteigen auf dem Perron im Zürcher Hauptbahnhof gefilmt. Die Frau sah zunächst von einer Anzeige ab.

Der heute 23-jährige Marokkaner wurde im November 2020 verhaftet. Gegen seine zwei mutmasslichen Mittäter – beide algerische Asylbewerber, die zum Tatzeitpunkt erst 16 und 17 Jahre alt waren – laufen Jugendstrafverfahren. Der eine konnte nicht ausfindig gemacht werden und ist flüchtig, der andere wird vor einem nicht öffentlichen Jugendgericht abgeurteilt werden. Vor Bezirksgericht Zürich sagt der Hauptbeschuldigte auf Arabisch, vom Dolmetscher übersetzt, lediglich: «Das habe ich nicht gemacht.» Er wisse nichts und habe nichts gesehen. Zu allen Fragen verweigert er die Aussage.

Die Staatsanwältin beantragt eine Freiheitsstrafe von 66 Monaten wegen Vergewaltigung und Raubes und einen Landesverweis von 13 Jahren. Der Mann ist mehrfach vorbestraft. Das Zürcher Urteil muss als Zusatzstrafe zu einem Urteil im Kanton Neuenburg vom November 2020 zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten wegen gewerbsmässigen Diebstahls und anderer Delikte gefällt werden. Ins Gewicht fällt vor allem auch eine einschlägige Vorstrafe aus Frankreich, wo der Marokkaner wegen Schändung verurteilt worden ist.

In der ersten Hafteinvernahme hatte der Mann noch zugegeben, mit einer älteren Dame im Zug Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Dieser sei aber einvernehmlich erfolgt. Die ihm fremde Frau habe ihn zum Sex aufgefordert. Danach schwieg der Beschuldigte in der weiteren Untersuchung eisern.

Das Opfer war nicht in der Lage, den Täter zu identifizieren, und hatte laut der Staatsanwältin zunächst einen unbeteiligten Dritten als Täter bezeichnet, gegen den das Strafverfahren aber eingestellt werden musste. Das sei aber aufgrund der früheren Aussagen des Beschuldigten nicht relevant. Die Frau sei überrascht worden und nicht in der Lage gewesen, einzelne Tatbeiträge den einzelnen Tätern zuzuordnen.

Das Opfer habe auch in der Untersuchung grosse Mühe gehabt, über den Vorfall zu sprechen, sei schwer traumatisiert und habe sich in psychiatrische Behandlung begeben müssen. Auf eine Konstituierung als Privatklägerin hat die Frau, die den Fall hinter sich lassen möchte, zudem verzichtet.

Der Verteidiger verlangt einen Freispruch und vertritt die These, sein Mandant sei Opfer einer Verwechslung. Die Aussagen in der Hafteinvernahme entsprächen nicht der Wahrheit. Was das Motiv für die Falschaussagen gewesen sein solle, erschliesse sich ihm allerdings bis heute auch nicht. Das Opfer habe die beiden Mittäter identifiziert, den Marokkaner bei einer Gegenüberstellung aber nicht erkannt. Die Tat sei wohl nur von zwei Männern ausgeführt worden, und sein Mandant sei gar nicht im Speisewagen gewesen. Er habe kein Täterwissen, viele seiner Angaben stimmten mit jenen des Opfers gar nicht überein. Vermutlich habe er bei der ersten Einvernahme einfach etwas wiedergegeben, das ihm erzählt worden sei.

Das Gericht verurteilt den Beschuldigten trotzdem anklagegemäss und setzt die Höhe der Zusatzstrafe bei 68 Monaten fest. Auch der Landesverweis von 13 Jahren wird angeordnet. Das Richtergremium glaubt den «absolut überzeugenden und lebensnahen Aussagen» des Opfers. Die Frage, ob der Beschuldigte bei seiner Einvernahme gelogen habe, verneint das Gericht klar. Der Mann habe über viele Fragen und viele Seiten sehr detaillierte Angaben zum Ablauf gemacht. Und falls er damals tatsächlich gelogen hätte, wäre eine nachvollziehbare Erklärung dafür zu erwarten gewesen.

Dass das Opfer die Vergewaltigung nicht einer bestimmten Person habe zuordnen können, sei nachvollziehbar und sogar selbstverständlich. Die Dame sei im Zug am Laptop am Arbeiten gewesen und völlig überrascht und überrumpelt worden. Die Täter hätten dabei auch ihre leichte Alkoholisierung ausgenutzt. Dass sie nicht mehr habe sagen können, wer in der Hektik was gemacht habe, sei plausibel. Weil sie völlig überrascht und die Täter in der Überzahl gewesen seien, sei ihr nicht mehr zuzumuten gewesen, sich zu wehren. Das Vorgehen des Beschuldigten im öffentlichen Verkehrsmittel sei völlig skrupellos, schamlos und wirklich verwerflich gewesen.

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