Der freiheitliche Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer hat eine parlamentarische Anfrage an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) eingebracht, die unter anderem zum Inhalt hat, wie viele Asyl-Aberkennungsverfahren es in Österreich in den letzten drei Jahren wegen schwerer Straftaten gegeben hat. Hintergrund dieser Anfrage ist ein Vorab-Entscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), das sich nicht nur mit Fragen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs beschäftigt, sondern auch mit Fragen aus Belgien.
Und die Ansicht des Generalanwalts in seinen Schlussanträgen (Rechtssache C‑663/21) verblüfft. Er stärkt schwerstkriminellen Asylanten den Rücken. Man darf gespannt sein, wie die EuGH-Richter letztendlich urteilen werden.
Doch worum genau geht es?
Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hatte mit dem syrischen Staatsangehörigen A. zu tun. Er war am 10. Dezember 2014 unrechtmäßig in Österreich eingereist und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Entscheidung vom 22. Dezember 2015 erkannte ihm das Amt den Flüchtlings-Status zu. In Folge verursachte er eine Straftat nach der anderen.
Knapp zwei Jahre später, am 22. März 2018, wurde A. wegen gefährlicher Drohung, Sachbeschädigung, unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt. Am 14. Jänner 2019 wurde A. wegen vorsätzlicher Körperverletzung und gefährlicher Drohung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Am 11. März 2019 wurde er wegen versuchter Körperverletzung und gefährlicher Drohung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Der Vollzug all dieser Freiheitsstrafen wurde seitens der Justiz aus unverständlichen Gründen bedingt nachgesehen. Am 13. August 2019 wurde A. wegen aggressiven Verhaltens gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht mit einer Geldstrafe belegt.
BFA zog Konsequenzen
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) nahm die fortgesetzten Straftaten zum Anlass, um Schritte einzuleiten. Mit Bescheid vom 24. September 2019 erkannte das Amt A. den Flüchtlings-Status ab und entschied, ihm auch keinen subsidiären Schutzstatus oder Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu gewähren. Das Amt erklärte außerdem, dass eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot gegen ihn erlassen und ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt werde, sprach zugleich aber aus, dass seine Abschiebung nach Syrien nicht zulässig sei.
Dagegen erhob A. Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Später erklärte er, dass er seine Beschwerde zurückziehe, soweit sie sich auf jenen Teil dieser Entscheidung beziehe, in dem die Unzulässigkeit seiner Abschiebung nach Syrien festgestellt worden sei. Kein Wunder. Warum sollte er sich rechtlich wehren, dass er nicht abgeschoben werden muss?
Bundesverwaltungsgericht entscheidet gegen BFA
Am 16. Juni und 8. Oktober 2020 wurde A. neuerlich wegen Straftaten zu Freiheitsstrafen von vier bzw. fünf Monaten verurteilt. Und dennoch gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde von A. statt. Sein Flüchtlings-Status sei nicht abzuerkennen.
Der Flüchtling habe besonders schwere Verbrechen verübt, sei rechtskräftig verurteilt worden und stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, wie das Gericht feststellte. Jedoch ist es der Auffassung, dass die Interessen der Republik Österreich und die Interessen von A. gegeneinander abzuwägen seien, wobei das Ausmaß und die Art der Maßnahmen, denen er im Fall der Aberkennung des internationalen Schutzes ausgesetzt wäre, zu berücksichtigen seien. Da A. bei einer Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr von Folter oder Tod ausgesetzt wäre, entschied das Gericht, dass seine Interessen die Interessen der Republik Österreich überwiegen und ihm der Status nicht entzogen werden dürfe. Das BFA brachte Revision ein.
Fall in Belgien
Was Belgien betrifft, so ist der wesentliche Umstand, dass die Straftat des Asylberechtigten zu einer Haftstrafe von 25 Jahren führte. Konkretes Vergehen: Totschlag. Dem Täter wurde der Asylstatus aberkannt, und er klagte dagegen. Die Gerichte vertraten die Ansicht, dass sich die Gefährlichkeit des Fremden, die er für die Allgemeinheit darstelle, aus seiner Verurteilung wegen einer besonders schweren Straftat ergebe. In diesem Zusammenhang habe der Generalkommissar nicht nachzuweisen brauchen, dass er eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Vielmehr hätte es dem Täter oblegen, nachzuweisen, dass er für die Allgemeinheit keine Gefahr mehr darstelle. Naturgemäß sah dies die Gegenseite anders, womit auch dieser Fall vor dem EuGH landete.
Und der EuGH-Anwalt beschäftigte sich mit jener Richtlinie, mit der ein Flüchtlingsstatus aberkannt werden kann, der Richtlinie 2011/95.
Darin heißt es in Art. 14 Abs. 4 Buchst. B:
(4) Die Mitgliedstaaten können einem Flüchtling die ihm von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Rechtsstellung aberkennen, diese beenden oder ihre Verlängerung ablehnen, wenn
b) er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
Generalanwalt legt Wortlaut anders aus
Die Gefahr für die Allgemeinheit ergibt sich dem Wortlaut folgend durch die Verurteilung wegen einer schweren Straftat Der EuGH-Anwalt allerdings interpretiert das anders. Er meint, dass es hier eine Trennung geben müsse. Auf der einen Seite die Verurteilung und auf der anderen Seite die Gefahr, die der Täter für die Allgemeinheit darstelle. Ein aufgrund einer schweren Straftat verurteilter Flüchtling muss nicht deswegen automatisch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Deswegen dürfe nicht allein wegen einer Verurteilung der Flüchtlingsstatus entzogen werden.
So meint der EuGH-Anwalt:
Ich bin daher der Auffassung, dass neben der Beurteilung durch den Strafrichter, die natürlich ein entscheidender Faktor für die Beurteilung der Gefährlichkeit der betreffenden Person ist, auch das Verhalten dieser Person während des Zeitraums zwischen der strafrechtlichen Verurteilung und dem Zeitpunkt, zu dem das Vorliegen einer Gefahr für die Allgemeinheit beurteilt wird, berücksichtigt werden sollte. Dabei sind die mehr oder weniger lange Zeit, die seit der Verurteilung vergangen ist, die Wiederholungsgefahr und die Wiedereingliederungsbemühungen dieser Person zu berücksichtigen. Zeigt das Verhalten des Flüchtlings, dass bei ihm eine Haltung fortbesteht, die eine Neigung zu weiteren Handlungen erkennen lässt, die den grundlegenden Interessen der Gesellschaft ernsthaft schaden könnten, kann meines Erachtens eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit festgestellt werden.
Es ist daher nicht Sache des Flüchtlings, den Beweis dafür zu erbringen, dass ihm seine Rechtsstellung nicht aberkannt werden darf.
Darüber hinaus kann ich die im Rahmen der dritten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑8/22 skizzierte Lösung nicht befürworten, wonach das Bestehen einer Gefahr für die Allgemeinheit vermutet werden kann, sobald feststeht, dass die betreffende Person wegen der Begehung einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
Verhältnismäßigkeit
Und überhaupt müsse bei einer Aberkennung des Flüchtlingsstatus die Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. Selbst wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit jenes Staats darstelle, in dem ihm Asyl gewährt wurde, sei zu prüfen, ob die Gefahr, die ihm in seiner Heimat drohe, nicht schwerwiegender sei. Und wenn klar sei, dass einem Fremden in seiner Heimat Gefahr drohe, dürfe auch keine Rückkehrentscheidung ausgesprochen werden.