Die Kneipe Bajszel in der Neuköllner Emser Straße kann man auch ohne Google Maps finden, denn Zeichen auf den Hausfassaden in der Nachbarschaft weisen den Weg. Mal ist es scheinbar nur ein herzförmiger Fleck in roter Farbe in der Nogatstraße, der sich ein paar Häuser weiter an der Kreuzung Emser-/Karl-Marx-Straße als Dreieick herausstellt. Mal ist das Dreieck mit dem Winkel nach unten auf Schablone gesprüht, zum Beispiel in der Siegfriedstraße, dann wieder – in der Ilsestraße – wird es durch die Aufschrift „FCK ISR – PALESTINE will be free!“ ergänzt. Auch wer nicht auf Graffitis achtet, findet das Bajszel leicht: Seit über einem Jahr steht während der Öffnungszeiten ein Polizeiauto davor, seit Ostern 2025 sind es manchmal auch zwei.
Das Bajszel steht seit dem 7. Oktober 2023 unter verschärfter Beobachtung durch Freunde der Intifada. Es reichte zunächst die Tatsache, dass dort Plakate hängen, die die Freilassung der von der Hamas entführten israelischen Geiseln fordern, und auf dem Tresen israelfreundliche Sticker und Flyer ausliegen. In der laut Selbstbeschreibung „Programmschänke“ finden regelmäßig Veranstaltungen statt, die sich gegen Antisemitismus wenden und dabei den israelbezogenen Antisemitismus nicht aussparen. Vielleicht noch schlimmer ist der Umstand, dass die Kneipe offensichtlich nicht um Pluralität bemüht ist und weder Veranstaltungen propalästinensischen Inhalts anbietet noch den Diskursonkels, die vom Leid der Menschen auf beiden Seiten schwadronieren, ein Podium bietet.
Neukölln ist Berlins linkes Szeneviertel, 25 Prozent der Wähler haben bei der Bundestagswahl ihre Zweitstimme der Linkspartei gegeben, deren Neuköllner Bezirksverband wegen seiner Nähe zum Islam, seiner Verharmlosung arabischer Clankriminalität und seines tiefen Verständnisses für eliminatorischen Antisemitismus bis zu jenem 23. Februar 2025, an dem er mit seinem Konzept triumphierte, dem Landesverband Kopfzerbrechen gemacht hat. Seither hat man gelernt, dass eine Intifadapartei alles, was sich als links, antirassistisch, postkolonial und queer versteht, repräsentieren kann, ohne organisierend in Erscheinung zu treten.
Für das Bajszel stellt sich die Situation noch bedrohlicher dar als es das auf den ganzen Bezirk bezogene Wahlergebnis nahelegt. Neukölln besteht nicht nur aus der Altstadt mit ihren vier Hauptachsen Kottbusser Damm, der die Bezirksgrenze zu Kreuzberg markiert, sowie der Sonnenallee, der Karl-Marx-Straße und der Hermannstraße, die alle vom berüchtigten Hermannplatz abgehen. In den Querstraßen dieser Magistralen leben die Studenten, Ex-Pats, Start-Up-Unternehmer und ein alternatives Kleinbürgertum – alles Leute, die die Linkspartei wählen und mindestens Verständnis für antiisraelische Propaganda haben. Es gibt auch ein anderes, gar nicht sehr progressives Neukölln mit den Stadtteilen Britz, Buckow, Rudow und Gropiusstadt, wo genauso viele Menschen leben wie in der Altstadt, von denen aber im Schnitt weniger als 15 Prozent die Linkspartei gewählt haben. Das bedeutet, dass in den Altstadtquartieren, zu denen die Emser Straße gehört, mit ihren 160.000 Bewohnern, wo man es sich ganz hedonistisch gut gehen lässt, zu über 40 Prozent Linkspartei gewählt wurde, von Herkunftsdeutschen und Moslems.
Ob das Bajszel eine linke Kneipe ist, mag offen bleiben, sie ist jedenfalls dem Typ nach eine Szenekneipe und wie es dort zuzugehen hat, bestimmen weder Wirte noch Gäste, sondern eine linke Szene, deren Avantgarde stellvertretend darüber wacht, dass Verstöße gegen die heimische Kultur unterbleiben. Die Eskalation verläuft nach Drehbuch: Zunächst betreten Leute vom Typus Migrantifa die Kneipe und reißen unter antirassistischem Geschrei Plakate, die an die Geiseln erinnern, von den Wänden und werfen Sticker und Flyer auf den Boden, bevor sie rausgeworfen werden; schon bald pöbeln wirre Menschen auf den Veranstaltungen herum, bevor auch sie rausgeworfen werden. Andere verlegen sich vor dem Lokal darauf, Gäste zu beleidigen und schon bald gehen aktivistische Migrantinnen mit zünftiger Kopfbedeckung demonstrativ vorbei und mustern die Gäste mit verachtungsvollen Blicken. Wochen später ertönen ausgehend von Hijab tragenden Frauen und Mädchen die schrillen Kindermörderrufe, wieder an die Gäste gerichtet. In den frühen Morgenstunden nach Betriebsschluss, wenn die Polizei weg ist, werden die ersten Graffitis mit Hamas-Dreiecken und entsprechenden Parolen erst auf die Fassade, dann auf die Fensterscheiben gesprüht. Mit Klebstoff wird eines Nachts das Schloss unbrauchbar gemacht, erste Steinwürfe erfolgen auf die großen Frontscheiben, die deswegen nicht platzen, sondern nur Sprünge davontragen, weil sie aus Sicherheitsglas sind. Einmal werden die hölzernen Fensterrahmen angekokelt und in den Ostertagen 2025 taucht die erste noch kleine Spontandemonstration vor dem Bajszel auf, die sich gegen einen Genozid an den Palästinensern richtet. Neun Vorfälle mit Sachschaden wurden bis dahin gezählt.
Bei aller gebotenen Solidarität mit dem Bajszel, Neukölln ist nicht überall und am wenigsten am Berliner Wittenbergplatz gleich neben dem KaDeWe – sollte man denken. Dorthin hatte am 28. April die deutsch-israelische Gesellschaft zum Israeltag eingeladen und auf drei Stunden gestreckt sind vielleicht 200 meist ältere Leute gekommen. Doch ausgerechnet dort „sorgte“ ein „Getränk“ „für Entrüstung“, wie es der „Journalist und Aktivist“ David Rojas Kienzle den stramm antizionistischen Lesern des Neuen Deutschland am 29.4.2025 mitteilte. Damit hat er allerdings nur aufgenommen, was alle in Berlin erscheinenden Tageszeitungen über das Getränk und dem damit verbundenen „Eklat“ mit der gleichen israelfeindlichen Tendenz berichtet hatten. Der israelische Gastronom Yorai Feinberg hatte auf dem Israeltag unter dem Motto „Watermelon meets Zion“ einen Cocktail angeboten und erklärend hinzugefügt, es handele sich um „Israeli Style Watermelon gehäckselt, püriert & zerhackstückelt auf Eis mit Vodkashot“. Darunter war ein Bild mit einem Comic-Löwen montiert, der die israelische Fahne als Schürze trägt und einen Cocktailmixer in der rechten Hand hält. Der Löwe Zions posiert vor einem ganzen Berg teilweise aufgeschnittener Wassermelonen. Auf einigen der Melonenhälften waren Smiley-Gesichter angedeutet. Die Taz hat am 29.4. noch ganz unschuldig gefragt: „Pietätlos oder Satire?“ – und beantwortet die Frage mit Zitaten von Sawsan Chebli (SPD) die erkannt haben will, dass die Bewerbung des Cockails „in zynischer Weise die Tötung meines Volkes zelebriert“ habe, und von MdB Rasha Nasr (auch SPD) die „tieftraurig und ehrlich gesagt auch wütend“ war.
Yorai Feinberg hatte gegenüber der Taz gesagt, was jeder wissen konnte: „Die Wassermelone symbolisiert den Krieg und den Terror gegen uns […]. In meinen Augen symbolisiert sie das neue Hakenkreuz“. Wie sehr ihm nicht nur die Taz schon eingeheizt hat, belegt Feinbergs völlig überflüssiges Bekenntnis: „Wir haben es als Witz über den grassierenden Antisemitismus und Israelfeindlichkeit verstanden, im geschützten Rahmen das Israeltages. Wir meinen es auf gar keinen Fall als Gewaltaufruf“. Er blieb allerdings bei seiner These, dass „moderne Symbole des Judenhasses im Mixer zerschreddert“ gehörten. Ärger hatte es nämlich mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft gegeben. „Als Organisatorin des Israeltags distanzierte sie sich von dem Werbeplakat. DIG-Vizepräsident Konstantin Ganss erklärte auf X, es sei geschmacklos und nicht mit den Grundsätzen der DIG vereinbar. Derartige ‚Äußerungen‘ würden niemanden ‚auf dem Weg zur Koexistenz im Nahen Osten oder bei der Bekämpfung des Antisemitismus helfen’“. (Jüdische Allgemeine, 28.4.2025) Konstantin Ganss ist übrigens SPD-Mitglied wie Sawsan Chebli, Rasha Nasr und Mehmed König, von dem noch zu reden sein wird, auch.
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