In fetten Buchstaben prangte es auf den Titelseiten der großen Zeitungen. Kaum eine Redaktion, die der Headline widerstehen konnte: „Vier deutsche Touristen auf Mallorca festgenommen“ – so oder ähnlich war es überall zu lesen. Auf der beliebten Ferieninsel haben offenbar mehrere junge Männer eine 18-Jährige nach einer Party ins Hotelzimmer gelockt. Zwei von ihnen sollen sie dort vergewaltigt haben. Inzwischen sitzen nur noch die beiden Hauptverdächtigen in Untersuchungshaft. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, drohen ihnen drastische Strafen. Denn die spanische Justiz ist gerade bei Gewalt gegen Frauen kompromisslos. Nachsicht oder gar „Rabatte“ gibt es dort in diesen Fällen nicht. Es bleibt abzuwarten, wie die weiteren Ermittlungen verlaufen. Eines lässt sich aber schon heute sagen: Die Meldung von vier verhafteten Deutschen war inhaltlich zutreffend – und spiegelt doch die ganze Falschheit einer Journalistengeneration wider, die dafür verantwortlich ist, dass die Presse bei weiten Teilen der Bevölkerung derart geringes Ansehen genießt. Ganz offensichtlich handelt es sich bei den Festgenommenen um Deutsche, denn sie besitzen einen deutschen Pass. Dies allerdings zur Kernbotschaft einer Meldung über eine Straftat zu machen, sagt viel über die Berichterstatter aus. Während bei Tätern aus bestimmten Regionen tunlichst vermieden wird, irgendwelche Hinweise auf die Nationalität zu geben, lässt die hiesige Journaille ihr Publikum nur allzu bereitwillig wissen, wenn sie eines Passdeutschen habhaft geworden ist. Man gewinnt hier und da geradezu den Eindruck, der Umstand werde zelebriert.
Wo es dem Narrativ nutzt, wird – wie beim Attentat auf den Bus einer Fußballmannschaft – gerne auf die Herkunft verwiesen. Ein „Deutsch-Russe“ oder „Russland-Deutscher“ geht immer – ein „Deutsch-Türke“ scheint sich zu verbieten. Dabei ist es im Grunde einerlei, welche Staatsangehörigkeit jemand besitzt. Denn ein Pass sagt nichts darüber aus, wer man ist. Der aktuelle Fall ist dabei exemplarisch. Was Gruppenvergewaltigungen in Deutschland angeht, zeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik ein klares Bild – und doch ist es unvollständig: Die Zahl der erfassten Fälle bewegt sich mit Ausnahme einer Spitze infolge der Silvesternacht 2015/16 auf konstantem Niveau. Sie liegt relativ niedrig, doch nimmt der Anteil verdächtigter Ausländer zu. Diese sind bei Gruppenvergewaltigungen nicht nur in der Mehrheit gegenüber Straftätern mit deutschem Pass, sondern auch in hohem Maße überrepräsentiert bezüglich ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung. Statistisch nicht darstellbar ist die Betrachtung weiterer Merkmale, die über die reine Staatsangehörigkeit hinaus gehen. Dies ist einerseits politisch nicht gewollt, andererseits in weiten Kreisen verpönt. Schnell wird das Gespenst des „Racial Profiling“ an die Wand gemalt. Die Schlussfolgerung kann daher für die Berichterstattung nur lauten, entweder in jedem einzelnen Fall „Ross und Reiter“ zu nennen, oder jegliche Hinweise zu unterlassen, die den Täter näher bezeichnen. Schnell wird erkennbar, dass Letzteres zum Scheitern verurteilt ist. Es wäre auch nicht im Sinne des Journalismus. Eine Nachricht soll den Leser darüber informieren, was durch wen wo und wann passiert ist.
Nur die konsequente Benennung von Nationalität und Herkunft eines Täters kann das journalistische Dilemma auflösen – auch auf die Gefahr hin, dass sich die öffentliche Wahrnehmung zu bestimmten Delikten und Tätergruppen bestätigt. Noch wissen wir nicht, ob die türkischstämmigen Täter neben der deutschen auch über die türkische Staatsbürgerschaft verfügen. Immerhin leben in Deutschland einige Hunderttausend Deutsch-Türken mit zwei Pässen. Insgesamt wird die Zahl der Doppelstaatler auf mehrere Millionen geschätzt. Die großformatige Darstellung, die Vergewaltiger seien Deutsche, ist vor diesem Hintergrund umso voreiliger. Ich selbst trage einen ausländischen Namen. In den 1970er Jahren kam ich mit meinen Eltern aus dem Iran. Als Nicht-Muslime gab es für uns dort keine Zukunft. 1977 erhielt ich die deutsche Staatsbürgerschaft – die einzige, die ich besitze. Eine Möglichkeit, mich für zwei Pässe zu entscheiden, stand mir nicht offen. Ich hätte sie auch nicht in Anspruch genommen, weil für meine Eltern und mich eines immer feststand: Ich fühle mich ohne Wenn und Aber dem Land verbunden, in dem ich lebe. Daher habe ich in den Jahren 1987 und 1988 auch meinen Wehrdienst in Deutschland abgeleistet. Dies empfand ich als Selbstverständlichkeit. Und doch würde ich niemals erlauben, dass man mich auf meine Staatsangehörigkeit reduzierte. Von Deutschlands Journalisten verlange ich, dass sie dies bei Tatverdächtigen mit deutschem Pass endlich unterlassen. Sie könnten auf diese Weise etwas Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Und ganz nebenbei würde ich mich als einer von 72 Millionen hier lebenden Deutschen in Zukunft ein bisschen weniger diskriminiert fühlen.
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