
Sehr geehrte Herren,
Sie zwingen mich, meine Rundfunkbeiträge drastisch zu reduzieren. Finaler Auslöser ist die Sendung Jan Böhmermanns vom 9. Mai dieses Jahres.
Vermutlich pflichten Sie mir bei, dass die ‚Demokratieabgabe‘, die ich an Ihre Anstalten entrichte, tatsächlich dem Erhalt der Demokratie dienen sollte. Dazu jedoch müsste Ihr Programm seinen eigentlichen Auftrag erfüllen und sich als ein Angebot an die gesamte Bevölkerung verstehen. Es müsste unabhängig und neutral sein, statt zu polarisieren und einen Gutteil der Bevölkerung gezielt zu verprellen und auszugrenzen.
Ich bin ein Fan des NWDR-Gründers Hugh Greene. Der hatte als Korrespondent in Hitler-Deutschland gearbeitet und war bestens mit der Propaganda des NS-Regimes vertraut. Also schuf er ab 1945 den genauen Gegenentwurf dazu. Für Greene sollten Journalisten keine regierungshörigen Manipulatoren sein, die als Einpeitscher ideologischer Halbwahrheiten antraten, sondern gut orientierte Dienstleister, die nüchtern berichteten, was anlag. Ohne Fakten zu unterschlagen, schön zu reden und zu verzerren, sondern so sachlich, wie es eben ging. Greene kannte sich mit totalitärer Indoktrination aus. Er wusste, dass freier Zugang zu ungefilterten Informationen die Voraussetzung für Mündigkeit und Fairness ist. Später pries auch Hanns Joachim Friedrichs professionelle Distanz als oberste Maxime. Gerade weil engagierten Journalisten der innere Abstand oft schwerfällt, ist er die Kür, die die Spreu vom Weizen trennt. Neutralität ist der Schlüssel zu Glaubwürdigkeit. Sie gewährt Integrität.
Der ÖRR hat sich für die Spreu entschieden. Er ist einer der teuersten, reichsten und mächtigsten Senderkomplexe der Welt. Das hat seinen Preis. Der ÖRR setzt auf Staatsnähe statt Unabhängigkeit. Er baut auf Masse statt Klasse und Haltung statt Kritik. Als Mittler einer übergeordneten Agenda sieht er sich als ‚Gate-Keeper‘ der höheren Wahrheit. Gralshüter waren Greene ein Gräuel. Er wusste, dass die einzige Daseinsberechtigung für öffentlich-rechtliche Sender, sofern sie im Informationszeitalter denn überhaupt noch eine haben, Neutralität und Unbestechlichkeit sind. Sobald sie das vergessen, verraten sie ihr Publikum, werden zu Instrumenten der Lüge und öden bestenfalls an. Das ist Gift für die Demokratie. Es erstickt die Meinungsvielfalt.
Die Folgen sind dramatisch und beispielhaft in Propaganda-Darbietungen wie der von Jan Böhmermann zu bewundern. Am 9. Mai knöpfte er sich die angeblich ‚rechtsextreme fünfte Kolonne der AfD auf YouTube‘ vor, die er abwechselnd als ‚Faschisten‘ und ‚Nazis‘ bezeichnete. Dabei ‚doxxte‘ er den bis dahin anonymen Betreiber des Kanals ‚Clownswelt‘, den Björn Höcke mal dafür gelobt hatte, dass er die ÖRR-Medien so effektiv kritisiere. Böhmermann lieferte Vornamen, Vita und Wohnort des Mannes, also alles, um seine Identität zu ermitteln. Was ihn besonders zu irritieren schien, war, dass sein Opfer Werbeeinnahmen generierte. Er selbst verdient als Agitator beim ZDF geschätzte 700.000 Euro jährlich, finanziert unter anderem durch meine ‚Demokratieabgabe‘.
Nur zur Erinnerung: Böhmermann ist der Schöpfer des Ziegenficker-Gedichts, der auch gern mal judenfeindliche Sketche macht und Jan Fleischhauer bei dessen Arbeitgeber dafür verpetzte, die Geburtstagsfeier Matthias Matusseks besucht zu haben. Die britische Autorin Joanne K. Rowling nannte er einen ‚transphoben Scheißhaufen‘, weil sie es gewagt hatte, sich für die angefeindete Frauenrechtlerin Maya Forstater einzusetzen.
Böhmermann verharmlos die Nazis, sobald er sie mit Faschisten gleichsetzt. Mussolinis Meute war mörderisch, aber das Treiben seiner ‚Squadristi‘ reichte nicht im Entferntesten ans Wüten der SS-Totenkopfverbände im Rassenkrieg heran. Sowohl als auch trugen zwar gern schwarz, wie übrigens auch die ‚Antifa‘, doch mit Judenhass hatte der ‚Duce‘ nichts am Hut, und wo regimetreue Richter im faschistischen Italien zwischen 1921 und 1943 etwa 80 Todesurteile verhängten, ließen nationalsozialistische Richter in der Hälfte der Zeit über 80.000 Menschen hinrichten. Das ist nicht nur numerisch ein Unterschied.
Doch ganz grundsätzlich ist eben die Querverbindung, die Böhmermann da zur AfD strickt, historisch fortgeschritten grotesk. Da könnte er auch Franziska Brantner mit dem ‚Bruder Nr. 1‘ Pol Pot gleichsetzen und die Grünen in die Rechtsnachfolge der Roten Khmer rücken.
Auf mich wirkt der Furor, mit dem der ÖRR vor der ‚rechten Gefahr‘ warnt und gegen ‚Hass und Hetze‘ agitiert, nicht nur hysterisch, sondern krankhaft, zumal er linken und islamischen Judenhass geflissentlich ignoriert. Damit befeuert er genau das, was zu bekämpfen er vorgibt. Löscht man einen Schwelbrand mit Benzin, erzielt es ähnliche Ergebnisse.
Sie dürften das anders sehen. Aber vielleicht stimmen Sie mir zu, dass es keiner Demokratie guttut, wenn die Staatsmedien sich einzelne kritische Bürger vornehmen, um sie zu denunzieren und öffentlich zu verhöhnen.
Böhmermann lebt von Kontaktschuld und Polemik. Trennschärfe hat ihn nie interessiert. Kommt er mit abenteuerlichen Lügen bei dem ehrenwerten Arne Schönbohm durch, wieso dann nicht bei einem kleinen YouTuber? Der kann sich gegen Verleumdungen noch weniger wehren als der Leiter eines Bundesamts, den eine intrigante Nancy Faeser zum Abschuss freigegeben hat.
Kurz nach Böhmermanns ‚Doxxen‘ reisten Klarname und Anschrift des Diffamierten durchs Netz. Die Band, bei der gespielt hatte, schmiss ihn raus. Auf vorauseilende Feigheit ist eben Verlass. Wieder mal hatte das ZDF einen ‚rechten Medienkritiker erlegt‘, indem es ihn ins Studiolicht zerrte. Nun können tapfere Antifaschist*innen wie Lina E. ihn sich vormerken.
All das geschah übrigens auf reiner Rufmordbasis. Inhaltlich lieferte Böhmermann nichts, das es auch nur ansatzweise gerechtfertigt hätte, einen ihm Wildfremden derart enthemmt mit Hass, Hohn und Häme zu bedenken.
Wohlgemerkt: Ich meide Böhmermann und war nie Nutzer der ‚Clownswelt‘. Allein wegen des Streisand-Effekts stolperte ich über die Affäre. Doch mich erschüttert, dass ein Bürger, der den ÖRR sachlich kritisiert, dafür nun im ZDF angeprangert und dem Lynchmob zum Fraß vorgeworfen wird: Böhmermann weiß, dass die ‚Antifa‘ bei vermeintlichen Rechten gern nächtliche Hausbesuche abstattet, Fensterscheiben zerlegt, Farbspray und Fäkalien verteilt oder Fahrzeuge abfackelt, sofern sie die Objekte ihrer Wut nicht gleich ins Krankenhaus prügelt. Bei sich selbst ist er daher auch weit sensibler. Als Hacker 2018 persönliche Daten von ihm veröffentlichten, bemühte er den Staatsschutz.
Kunstfreiheit ist heilig. Journalistische Recherche soll aufdecken. Das muss nicht jedem schmecken. Es tut mitunter weh. Grundsätzlich jedoch sollte es eher Schaden verhüten als anrichten und Erkenntniszuwachs stiften. Der Zweck ist nicht, die Würde Einzelner zu zertrampeln und das Miteinander zu vergiften.
Demokratien leben vom Respekt fürs Gegenüber. Das darf anders sein und die Welt anders sehen als man selbst. In Demokratien vollziehen Medien keine rituellen Schlachtungen an Schwächeren, im Bewusstsein, dass mächtige Apparate hinter ihnen stehen, die sie schützen und nahezu unverwundbar machen, während ihre Opfer ihnen wehrlos ausgeliefert sind.
Die Böhmermanns dieser Welt sind so, wie sie sind. Schenkt man ihnen Macht und lässt sie gewähren, entfalten sie maximale Bösartigkeit und mobilisieren treffsicher niedrigste menschliche Instinkte.
Auf der Klaviatur des Anschwärzens und Zersetzens ist Böhmermann ein Virtuose, und Heinrich Müller wie Erich Mielke hätten ihm gewiss dazu applaudiert, aber für eine Karriere bei der Gestapo oder Stasi ist er eben ein paar Jahrzehnte zu spät dran. Nur muss deshalb das ZDF einspringen? Nicht jeder, der gern in fremder Unterwäsche schnüffelt, ist ein Enthüllungsjournalist. Muss Böhmermann seine Triebe auf Kosten der Gebührenzahler ausleben? Was Demagogen mit Medien anzurichten vermögen, hat das ‚Radio-Télévision Libre des Mille Collines‘ in Ruanda eindrücklich gezeigt.
Doch nicht ich, Sie entscheiden, ob Gestalten wie Jan Böhmermann die gruselige deutsche Vergangenheit wieder in Zukunft verwandeln dürfen. Sie verantworten seinen Machtmissbrauch. Ich habe weder ihn noch Sarah Bosetti eingestellt, und auch keine der übrigen Karl-Eduard-von-Schnitzler-Kopien, die durch Ihr Programm geistern.
Ich kann Böhmermann nicht feuern. Das wäre Ihr Job. Um Ihrem eigentlichen und ursprünglichen Auftrag gerecht zu werden, müssten Sie dafür sorgen, dass der ÖRR keine Ressentiments schürt, sondern ein Minimum an Neutralität, Geschmack und Fairness wahrt. Das wäre Ihre Pflicht. Solange Sie der trotz – oder wegen – Ihres opulenten Budgets nicht gerecht werden, kann ich es nicht länger verantworten, Ihnen meine ‚Demokratieabgabe‘ anzuvertrauen. Ich mache mich mitschuldig, wenn ich Ihre als ‚Comedy‘ oder ‚Politmagazin‘ etikettierte Menschenverachtung weiterhin sponsere.
Daher reduziere meine Abgabe auf den symbolischen Betrag von einem Euro. Der signalisiert meine Bereitschaft, für ein qualitativ substanzielles und ethisch halbwegs vertretbares Grundversorgungsangebot im Geiste Hugh Greenes einen Obolus zu entrichten.
Mit freundlichen Grüßen,
C.
Sie zwingen mich, meine Rundfunkbeiträge drastisch zu reduzieren – Vera Lengsfeld