Serbische Holzköpfe

Von den drei Profis, die das Herreneinzel im Tennis seit über zehn Jahren dominieren, ist der Schweizer Federer Publikumsliebling und gilt auf und neben dem Platz als Verkörperung von spielerischer Eleganz und Bescheidenheit, während der bis zur Selbstgeißelung um jeden Punkt fightende Spanier Nadal unter den eher biederen Tennisfans als Naturgewalt auf zwei Beinen Kultstatus genießt. Nur bei Djokovic mischen sich seit jeher kritische Töne in den ihm entgegengebrachten Respekt: Er spiele zu wenig spektakulär, sei zu aufbrausend und häufig eine Spur zu ehrgeizig. Das, was seit Melbourne gegen ihn initiiert wird, hat mit Vorlieben in Sachen sportlicher Unterhaltung nichts zu tun. Seinen Gegnern ging es darum, ihn als Sportler und als Bürger zu erledigen. Dass er sich wohl in einer „verqueren Welt der Verschwörungstheorien, des Geschichtsrevisionismus und des serbischen Nationalismus verloren“ habe, konstatierte etwa die aufs Schnüffeln spezialisierte Frankfurter Rundschau und machte ihm nicht nur zum Vorwurf, falsche Leute wie „Pseudohistoriker, Ultranationalisten und Verschwörungstheoretiker“ zu treffen. Ausgerechnet Djokovics Hang zur Esoterik befand das Blatt für besonders anstößig, als hätte man in deutschen Medien nicht stets ein offenes Ohr für alternative Wege zur ganzheitlichen Selbstaufrüstung; als wäre die Nachfrage nach endgültigem Seelenheil und alternativmedizinischer Körperveredelung nicht in jenen grün-alternativen Stadtbezirken wie etwa dem Frankfurter Nordend besonders hoch − also dort, wo die Frankfurter Rundschau immer noch besonders gerne gelesen wird.

Die Kopfnoten für Djokovic fielen selbstverständlich schlecht aus: „Aber traurig ist sie natürlich immer wieder: die Erkenntnis, dass der vielleicht beste Tennisspieler der Geschichte, der so viel Gutes tun könnte mit seinem Einfluss, irgendwie auch ein rechter Holzkopf zu sein scheint.“ (6.1.2022) Dass der vielleicht beste Spieler der Geschichte zu sein nicht mehr ausreicht, dass man als solcher obendrein ein weltanschaulich gefälliger Zeitgenosse zu sein hat, den man bedenkenlos als Multiplikator der Regierungsposition vor Schulklassen stellen kann, bezeugt wohl auch die fundamentale Schwächung des Leistungsprinzips zugunsten der richtigen Gesinnung. Vor diesem Hintergrund gilt es wohl in Erinnerung zu rufen, dass das Leistungsprinzip immerhin bemisst, was jemand kann − und nicht, was jemand ist bzw. meint zu sein, und somit zwingend ein gewisses Maß an praktischem Realitätsbezug verlangt.

Von Djokovics individueller Verdorbenheit kam man zielsicher auf seine Herkunft. Das „kleine Land mit großen nationalistischen Komplexen“ (Deutschlandfunk, 17.1.2022) instrumentalisiere den weltbekannten „Nationalheld“ für politische Scharmützel, so die Journalistin Caroline Fetscher vom Tagesspiegel im Deutschlandfunk. Anlass der Erregung war die Leidenschaft, mit der viele Serben ihrem Sportidol beisprangen, um schließlich das australische Vorgehen als antiserbisch zu interpretieren. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hatte tags zuvor sogar gewütet, man behandele den Tennisstar „wie einen Massenmörder“ (Süddeutsche Zeitung, 16.1.2022) – was schon deswegen ein schiefer Vergleich ist, weil wegen eines Massenmörders im Regelfall kein nationaler Notstand ausgerufen wird. Im Falle des serbischen „Opfernarrativs“ habe man es, so Fetscher, mit einer „Mischung aus Projektion und Phantasma“ zu tun, die „kaum zu toppen“ sei. Den Grund für die ihrer Ansicht nach besonders brutale Larmoyanz verortet sie im jugoslawischen Bürgerkrieg, den sie aus dramaturgischen Gründen auf folgenden Aspekt verkürzt: „Wenn es irgendwo in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg Massenmörder gab, dann waren es leider Verbrechen wie Srebrenica, was ein Massenmord war von serbischen Paramilitärs und Militärs an mehrheitlich muslimischen Bosniaken. Es gab mehrere Massenmorde auch im Kosovo. Das ist ein großes Tätertrauma der Serben.“

In Wahrheit sind es solche antiserbischen Invektiven, die eine der historischen Wahrheit verpflichtete Bestimmung der Rolle Serbiens im Jugoslawien-Krieg verunmöglichen. Am hässlichen Nationalismus, den es unter Serben sehr wohl auch gibt, ist nichts zu beschönigen, nur hat das bereitwillig abgespulte Programm der kritischen Völkerpsychologin wenig mit Djokovics Rauswurf aus Australien zu tun, insofern fällt Vorwurf der Instrumentalisierung auf Fetscher selbst zurück. Das Gerede über das Tätertrauma der Serben fällt in eine Zeit, in der sich die Panik der Regierenden samt ihren medialen Unterstützern in Australien und anderswo ausbreitet, dass man ihnen ihre Politik doch noch anlasten und womöglich Rechenschaft verlangen könnte. Blieben die Australier immerhin schwerpunktmäßig bei der ausgemalten Gesundheitskatastrophe, bestand der sehr deutsche Beitrag darin, einen ausländischen Sportler als Sohn einer Täter-Nation zu pathologisieren, als Repräsentanten einer Mörderbande, die qua Herkunft nicht anders kann als andere ins Verderben zu führen. Derart urteilende Deutsche übersehen bei ihren Analysen des serbischen Charakters gerne, dass die serbische Reaktion gegen den Westen umso nationaler wurde, je mehr man ihre Angehörigen kollektiv in die Enge getrieben hat. Keinesfalls zufällig entfällt den Deutschen in der Rückschau auf Kriege und Schrecken „nach 1945“ immer wieder Jugoslawien. Denn das Bombardement Belgrads unter deutscher Beteiligung passt nicht so recht zum moraltriefenden Dialog- und Friedenskitsch, den die Sprecher Deutschlands ohne Unterlass von sich geben. Die von Außenminister Fischer damals in selbstanklägerischer Pose vorgetragene, auf Fälschungen und Halbwahrheiten basierende Heuchelei, wegen Auschwitz schweren Herzens Krieg fürs Menschenrecht im Kosovo führen zu müssen, war an Niederträchtigkeit kaum zu überbieten. Das Argumentationsmuster entwickelte sich nichtsdestotrotz zur heute nicht mehr wegzudenkenden Staatsraison, die als Schicksalsauftrag ausgewiesen wird und das niemals tatenlose Zuschauen ebenso in petto hat wie das gnadenlose Wegsehen im Fall der Ukraine.

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