Konrad Adam hat es im Journalismus ganz nach oben geschafft. Er war im Feuilleton der FAZ zuständig für Bildungs-und Wissenschaftspolitik, wechselte dann zu Welt, wo er acht Jahre lag, bis 2008 politischer Chefkorrespondent in Berlin war. Kaum im Ruhestand, wurde er Mitbegründer der AfD, die er aber längst wieder verlassen hat, weil er mit manchen Gestalten, die in die neue Partei drängten, Ämter und Mandate besetzten, nichts zu tun haben wollte. „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“, den Journalisten auch nicht, wie man am einstmals gefeierten, heute so gut wie vergessenen Frank Schirrmacher sehen kann. Adams Analysen dürften, anders als die Schirrmachers, die mehr Hype waren, als sie Substanz hatten, Bestand haben. Deshalb ist es verdienstvoll, dass das Buchhaus Loschwitz Adam in seine Exil-reihe aufgenommen hat.
Adams großes Thema ist die Freiheit und ihr allmähliches Verschwinden. Er verweist auf den französischen Soziologen Raymond Aron, der in seinem Kampf gegen die Gesinnungstyrannei immer wieder auf seinen großen Landsmann Montesqieu zu sprechen kam, der überzeugt war, dass Freiheit auf Gewaltenteilung beruht.
Nicht nur ungeteilte Gewalt, auch eine Einheits-Elite, ist freiheitsfeindlich, Woraus der Leser schon ableiten kann, wie es um die Freiheit in Deutschland bestellt ist. Freiheit lebt in den beständig gefährdeten Zwischenregionen „in der die Menschen gelernt haben, Autonomie und Kooperation miteinander zu verbinden“.
Diese Zwischenregionen seien in den sechzehn Merkel-Jahren schwach und bedeutungsarm geworden, sie seien zum Teil sogar verschwunden, „fortgeschwemmt von einer Sturzflut an Empfehlungen und Auflagen, Vorgaben und Sprachregelungen, die der Freiheit immer engere Grenzen gezogen haben“.
Von allen Hinterlassenschaften der Merkel-Ära dürfte die schleichende Entwertung von angeborenen und verbrieften Freiheitsrechten wohl die dauerhafteste sein. Die Mauern, die an der Grenze des Landes abgerissen wurden, sind im Inneren hochgezogen worden. Die unsichtbaren Mauern können stabiler als die aus Beton sein.
„Abstandsregeln, Merkel-Poller zum Schutz von Volksfesten, no-go-areas, Sicherheitszonen für Frauen, Flüchtlingsfrauen, die von der Bundespolizei vor Belästigungen geschützt werden müssen – das hatte es vorher nicht gegeben, gibt es aber jetzt. Zur Dramatik der Situation trägt bei, dass die heute Herrschenden vergessen haben, was Montesquieus Zeitgenossen Jean-Jaques Rousseau noch wusste: Sitten und Gebräuche sind das Fundament eines wohlgeordneten Staates.“ Das Bedürfnis heimisch zu sein, verstanden zu werden und nicht wieder alles erklären zu müssen, sitzt tief. Seit Merkel sollen wir täglich neu verhandeln müssen, was die Normen des Zusammenlebens sind, jedenfalls stand es so in einem Papier von Merkels Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz.
Freiheit lässt sich ohne Vorzensur und gewaltsame Schikanen unterdrücken.
Das Gespräch, oder der Dialog, ist für die Freiheit unverzichtbar. „Wo immer das öffentliche Gespräch über den richtigen Weg […] von der einen oder anderen Partei blockiert wurde“ erstarrt die Gesellschaft.
„Eine Mehrheit, die den Wechsel nicht will, weil sie sich im Besitz der Wahrheit wähnt, untergräbt die Fundamente der Demokratie“.
Die vom Philosophen Jürgen Habermas geleitet Linke ist mit ihm der Meinung, dass die Mehrheit die einzig wahre Meinung vertritt. Sie verdiene Respekt und Anerkennung auch von denen, die sich ihr anfangs widersetzt hätten. Die Politik müsse den Anspruch auf diese Wahrheit erfüllen. Nur genügt heute, statt der Mehrheit die Meinung der lautstarken Minderheit, um für sakrosankt erklärt zu werden. Die Wenigen könnten klüger sein, als die Mehrheit meint Habermas. Sie sollten deshalb auf ihrem Recht bestehen, der Mehrheit über den Mund zu fahren. Wird ihnen das verwehrt, hat die Minderheit ein Recht auf zivilen Widerstand. Das ist ein „aufwendig verklausuliertes Selbstermächtigungsgesetz“, so Adam. Mit dieser Selbstermächtigung müssen wir seit Jahren leben, sie zersetzt unsere Gesellschaft.
In der Politik läuft der Anspruch, Wahrheiten zu verkünden auf den Versuch hinaus, den Gegner im Namen der kommunikativen Vernunft zu entmutigen. Kommt noch die politisch engagierte Wissenschaft dazu, hat eine „wissenschaftlich aufgetakelte Politik“ eine „Stellung erobert, aus der heraus sie jeden Gegner zu Fall bringen kann.“
Damit ist das von John Stuart Mill gefürchtete Kartell beisammen; der gefährlichste Feind der Freiheit ist ein Bündnis von Regierungs- und Meinungsmacht.
Genau mit diesem gefährlichsten Feind haben wir es gegenwärtig zu tun. Er dringt in alle Ritzen der Gesellschaft, zersetzt die rechtsstaatlichen Institutionen und die Verfassung, ohne sie direkt zu verletzen.
Gibt es ein Gegenmittel? Ja, den Mut und die Fähigkeit, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, wie es bereits Immanuel Kant gefordert hat. Ich würde Adam wie folgt ergänzen:
Mit den modernen Kommunikationsmitteln ist die Macht der Gatekeeper vorbei. Jede Lüge, jede Ausflucht, kann innerhalb einer Stunde entlarvt werden. Das macht die Meinungsmacht so fragil. Wir haben die Werkzeuge in der Hand, die Macht zu begrenzen oder zu zerbrechen. Wir müssen sie nur entschlossen nutzen:
Konrad Adam: „Gräben“
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