“In den Hörsälen hört man nun, wie Professoren das gesamte System in seinen universalistischen, demokratischen und säkularen Grundlagen in Frage stellen. Dies wird ohne jegliche Hemmungen getan”.
Klaus Kinzler, Professor für Deutsch und deutsche Zivilisation am Institut d’études politiques in Grenoble, steht im Mittelpunkt einer Polemik, die die Einrichtung seit einem Jahr vergiftet. In einer von Studenten in sozialen Netzwerken gestarteten Kampagne wurde er der Islamophobie beschuldigt. Sein Name und der eines Kollegen wurden an den Wänden der Hochschule angeprangert, versehen mit der Aufschrift ” Faschisten in unseren Hörsälen. Islamophobie tötet”. Klaus Kinzler ist seit den Ereignissen nicht mehr an das IEP zurückgekehrt. Im März wird er den Bericht über diesen Fall beim Verlag Editions du Rocher veröffentlichen.
Frage: Sie waren Ihrer Meinung nach das Ziel einer “Kabale”, die von einer Studentengewerkschaft (Union syndicale) des IEP Grenoble inszeniert wurde, mit dem willfährigen Schweigen der Direktion und des Lehrkörpers. Warum haben sich die Dinge derart zugespitzt?
Kinzler: Alles begann mit einem E-Mail-Austausch mit einer Historikerkollegin im Dezember 2020. Ich beanstandete den Titel einer eintägigen Diskussionsveranstaltung, in dem “Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie” auf eine Stufe gestellt wurden. Dies schien mir ein Skandal zu sein, wo es doch eine echte Debatte über die Relevanz des Begriffs Islamophobie gibt. Die Diskussion wurde schnell hitzig, da meine Kollegin die ” Wissenschaftliche Natur ” des Wortes bekräftigte. Die Schwierigkeiten begannen. Bereits im Januar war die Kampagne auf Facebook entfesselt worden. Man warf mir vor, ich sei “islamophob”, forderte meinen Rücktritt und rief zu anonymen Zeugenaussagen gegen mich auf. Im März dieses Jahres wurden mein Name und der eines Kollegen, eines Politologen, der sich auf den Islam in Frankreich spezialisiert hat, an der Fassade der Schule angebracht. Ich wurde einen Monat lang unter Polizeischutz gestellt.
Frage: Sie unterrichten seit fünfundzwanzig Jahren an Sciences Po Grenoble. Welche Beobachtungen haben Sie gemacht?
Kinzler: Ich habe an dieser Einrichtung ein Vierteljahrhundert lang unterrichtet, ohne jemals irgendwelche Probleme zu haben, in völliger Freiheit. Die deutsche Sprache und Zivilisation, Geschichte, Politik, Gesellschaft: Ich konnte alle Themen mit meinen Studenten ansprechen, die ich jedes Jahr zu meinem Unterricht befragte. Doch seit zehn Jahren und verstärkt in den letzten fünf Jahren stelle ich einen Generationswechsel fest. Übrigens nicht so sehr bei den Schülern, sondern bei den Lehrern. Innerhalb kurzer Zeit kamen viele junge Forscher hinzu, die Anhänger von Woke-Theorien, Dekolonialisten, Kommunitaristen und Antikapitalisten sind. Sciences Po Grenoble ist nicht mehr ein Institut für politische Studien, sondern für politische Erziehung, ja sogar Umerziehung. Die Studenten werden indoktriniert. Ein harter Kern von 25 der insgesamt 70 Lehrkräfte hält die Fäden in der Hand. Die Führung ist schwach, politisch gemäßigt, will aber keine Wellen schlagen. Als Geisel derer, die ich “die Ultras” nenne, untauglich, hat sie mich wie eine Schachfigur geopfert. Sie hat Druck auf mich ausgeübt, mich nicht in den Medien zu äußern. Hätte sie mich von Anfang an verteidigt und einfach gesagt, dass ich ein guter Lehrer sei, hätte sie sich diesen Wirbel ersparen können. Die anderen Lehrer schweigen. Jetzt haben die Schüler Lehrer vor sich, die nur eine Meinung akzeptieren, z. B. zu Polizeigewalt oder Islamophobie. Einige Lehrer halten sich nicht mehr an die von Weber theoretisierte Verpflichtung zur Neutralität der Soziologie. Diese Radikalisierung wird vollkommen angenommen.
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