Ein unwürdiges Schauspiel

Die (hoffentlich) letzte Regierung Merkel produziert einen Skandal nach dem anderem, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen hätte. Für die katastrophale Fehleinschätzung der Lage in Afghanistan hat die Kanzlerin die Verantwortung übernommen, aber das ist nicht mehr als eine hohle Phrase. Denn für sie ist damit die Sache abgehakt, wie damals, als die Zustände während der Masseneinwanderung von 2015 im BAMF immer unhaltbarer wurden, sodass selbst die merkelhörige Mainstreampresse anfing, unangenehme Berichte zu schreiben und Fragen zu stellen. Auch damals übernahm Merkel die Verantwortung und stoppte damit die Negativ-Presse. An den skandalösen Zuständen im BAMF hat sich nichts geändert. Noch heute, fast sechs Jahre danach, wissen wir von vielen Migranten immer noch nicht, wer sie sind. Immer wieder werden Mehrfach-Identitäten aufgedeckt, die über Jahre unbemerkt geblieben sind. Die damalige Migrationswelle ist noch nicht bewältigt, da steht die nächste ins Haus. Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen oder Untätigkeit, wo gehandelt werden müsste, sind eine Konstante der Politik. Das dies nie Konsequenzen hat, ist der größte Skandal.

Es gibt genau zwei Hauptschuldige an dem Afghanistan-Debakel: Kanzlerin Merkel, die verantwortlich ist für die Richtlinien der Politik und Außenminister Maas, der alle Warnungen, die es seit Monaten gab, auch von der Botschaft, überhört hat. Daneben hat der Bundesnachrichtendienst die Bundesregierung seit vielen Jahren immer wieder vor dem Zusammenbruch des afghanischen Staates gewarnt. Nach seinen Analysen seien weder das Militär Afghanistans noch die Politik so aufgestellt, dass sie dauerhaft funktionieren könnten. Allerdings seien die Analysen offenbar unbeachtet geblieben.

Vor allem SPD-Funktionäre weisen auch Innenminister Seehofer eine Mitschuld zu, dessen Ministerium bürokratische Hindernisse für die Erteilung von Visa an die Ortskräfte aufgebaut haben soll, auch wenn sein Ressort nicht für die Visaausstellung zuständig ist.

Außenminister Maas führt gerade vor, wie er sich aus der Verantwortung zu stehlen beabsichtigt. Er, der monatelang alle Warnungen in den Wind geschlagen, der noch am Freitag das Flehen der Botschaft in Kabul nach Evakuierung missachtet hat, der den abflugbereiten Flieger der Bundeswehr am Sonnabend und Sonntag am Boden und erst am Montag starten ließ, versucht nun, dem BND seine Schuld in die Schuhe zu schieben.

„Der BND hat offensichtlich eine falsche Lageeinschätzung vorgenommen, so wie andere Dienste auch“, sagte Maas dem Spiegel. „Die Entscheidungen, die aufgrund dieser fehlerhaften Berichte getroffen wurden, sind nach bestem Wissen und Gewissen gefallen. Aber sie waren im Ergebnis falsch, mit katastrophalen Folgen.“

Das könne nicht ohne Konsequenzen für die deutschen Nachrichtendienste bleiben.

Dieses Manöver ist ebenso perfide, wie durchschaubar, vor allem aber gefährlich. Denn wenn die Sprachregelung, man hätte nach „bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt, die vor Maas auch der SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich verwendet hat, die ultimative Entlastung sein soll, dann ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. So kann man alles, auch Verbrechen entschuldigen, wie es in der Geschichte schon geschehen ist. Wenn ein Haus einstürzt, ist es dem Besitzer egal, ob der Architekt „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt hat. Er wird Fragen nach dessen Kompetenz stellen und ihn gerichtlich belangen. Maas will sich nicht verantworten, er will der Öffentlichkeit den BND zum Fraß vorwerfen, um von sich abzulenken.

Bundestagsfraktionschef Mützenich geht es vor allem um die Bundestagswahl. Es soll sich Niemand vor der Bundestagswahl mit dem Komplettversagen des SPD-Außenministers beschäftigen. „Ich rufe alle Fraktionen dazu auf, sich entsprechend maßvoll zu verhalten!“ Das ist an Unverschämtheit gegenüber den Wählern schwer zu überbieten. Gerade im Wahlkampf muss Rechenschaft über die Qualität einer Regierung abgelegt werden, damit die Wähler entscheiden können, wer ihr Vertrauen verdient und wer nicht. Die richtige Reaktion der SPD aus Respekt vor dem Souverän wäre gewesen, da Maas einen Rücktritt ausschließt, klar zu signalisieren, dass er für eine nächste Regierung nicht mehr in Frage kommt.

Ein Skandal ist auch, was am Rande der Schuldzuweisung an den BND öffentlich wurde:

Wie die FAZ berichtete, hat der frühere BND-Chef Gerhard Schindler Kritik an dem Nachrichtendienst zurückgewiesen. Er beklagte juristische und bürokratische Hürden, die die Arbeit behinderten. Deshalb brauche man sich nicht über suboptimale Ergebnisse bei der Auswertung zu wundern, sagte Schindler Focus Online.

Der BND dürfe zum Beispiel „keine angeworbenen Informanten in eine Terrororganisation schleusen, weil er sich dann nach unserem Rechtssystem wegen Anstiftung oder Beihilfe strafbar macht“. Wenn man aber den inneren Zirkel der Taliban nicht mehr infiltrieren dürfe, erhalte man auch keine Insiderinformationen.

Mehr noch: Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahr seien die Taliban durch das deutsche Grundgesetz geschützt. „Artikel 10, der das sogenannte Fernmeldegeheimnis beinhaltet, gilt seitdem für alle Menschen auf dieser Welt, also auch für ausländische Terroristen in Afghanistan.“

Die Verfassungsrichter hatten dem BND im Mai 2020 die anlasslose Überwachung im Ausland untersagt. Fernmeldegeheimnis und Pressefreiheit müssten auch dort gewahrt bleiben.

Auch auf Grund solcher zweifelhafter Entscheidungen ähnelt Deutschland im sechzehnten Jahr der Regierung Merkel einem Absurdistan und ist auf dem Weg zum Failed State.

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