
Nachdem Friedrich Merz im ersten Wahlgang zum Bundeskanzler gescheitert ist, hat sich das politische Berlin in einen Hühnerhaufen verwandelt, in dem alles durcheinander gackert. Die meisten Journalisten und Politiker scheinen total überrascht worden zu sein. Dabei hat es zahlreiche Anzeichen gegeben, dass die Wahl von Merz alles andere als sicher war. Es gibt etwa ein halbes Dutzend Szenarien, was warum passiert sein könnte. Zwei davon halte ich für die wahrscheinlichsten:
- Die Abweichler kamen mehrheitlich oder sogar vollständig aus der Union. Arnold Vaatz hat mir unlängst versichert, dass es noch jede Menge vernünftiger Leute in der Union gäbe, davon könnten es 18 in die Bundestagsfraktion geschafft haben. Diese Leute hat Merz nachhaltig vor den Kopf gestoßen. Sie lehnen den Koalitionsvertrag aus guten Gründen ab. Leider waren sie nicht Manns genug, um offen zu rebellieren, sondern strafen Merz aus dem Hinterhalt ab. Sie hoffen wahrscheinlich, mit einem arg geschwächten Merz auf ein schnelleres Ende der für die Union so verhängnisvollen Koalition. Diese Leute würden im zweiten Wahlgang Merz ihre Stimme geben, um einen linken Putsch zu verhindern.
- Die abweichenden Stimmen kommen aus der SPD. Auch wenn die Jusos das nicht sehen wollen, wissen doch die Parlamentarier, dass der Koalitionsvertrag die Fortsetzung der Ampel-Politik festgeschrieben hat. Inhaltliche Gründe kann es für die Stimmenthaltung eigentlich nicht geben. Möglich wäre ein Szenario, das an eine Verschwörungstheorie grenzt. Nachdem Merz mit dem abgewählten Bundestag 500 Milliarden locker gemacht hat, ist jede mögliche Regierung finanziell erst einmal abgesichert. Merz hat seine Schuldigkeit getan und wird nicht mehr gebraucht. Mit der überfallartigen Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ hat man ihm die Möglichkeit verbaut, sich noch in eine Minderheitsregierung zu retten. Gleich nach dem Scheitern von Merz meldete sich die Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzende Haßelmann zu Wort und verkündete, dass man „Stabilität“ brauche. Zwar versicherten andere Grüne, man werde für Merz keine Mehrheit schaffen, aber die Grünen hatten ja auch einmal gesagt, sie könnten dem von Merz geplanten Schuldenpaket nicht zustimmen. Das änderte sich nach Zugeständnissen. Ein mögliches Zugeständnis an die Grünen wäre, ihre Forderung nach einem sofortigen AfD-Verbotsverfahren zu übernehmen. Künftig könnte aus dem Katzentisch, an dem die Grünen schon seit den Koalitionsverhandlungen sitzen, noch eine Kenia-Koalition unter einem anderen Kanzler werden. Während ich dies schreibe, sitzt Klingbeil im Büro von Britta Haßelmann, und Merz, der optimistisch sein soll, im zweiten Durchgang gewählt zu werden, möchte, dass der noch heute stattfindet. Alle Parlamentarier sollen sich in Laufweite um den Reichstag herum aufhalten, weil die Plenarsitzung jederzeit weitergehen kann.
Das vorhersehbare Scheitern des Friedrich Merz – Vera Lengsfeld