
In ihrem Selbstverständnis ist Die Linke „der natürliche Gegenpol der AfD“ (rosalux.de, a.a.O.) und anscheinend sehen das fast neun Prozent der Wähler, von denen 600.000 von den Grünen abgewandert sind, genauso. Mit dem Antifaschismus der Linkspartei verhält es sich ähnlich wie mit ihrer etwas anderen Willkommenskultur: Ohne es an die große Glocke zu hängen, ist sie ihrem Selbstverständnis nach längst Migrantifa und vermochte nicht nur die CDU im Januar 2025 als Steigbügelhalter eines neuen Faschismus zu entlarven, sondern auch SPD und Grüne als unnatürliche Kantonisten im Kampf gegen rechts zu disqualifizieren. Statt einzuräumen, dass AfD und Linkspartei außer in ihrem Bündnis mit Russland alles trennt, was schon in der Wahlnacht am schlechten Abschneiden des BSW, das den Spagat zwischen AfD-Forderungen und linker Programmatik versucht hat, abzulesen war, beharren die liberalen und konservativen Meinungsmacher darauf, dass Linkspartei und AfD zwei Seiten der gleichen Medaille wären und beschwören den nahenden Untergang: „Die gegenseitig behauptete Opposition ist eine rein rhetorische; faktisch verstärken sich beide Ränder durch ihre Verweigerungshaltung gegenüber jenen Werten, die von ihnen als überkommene Relikte der Mitte denunziert werden – konkret als Absage an das, wofür die bundesrepublikanische Nachkriegsordnung stand.“ (ebd., Hvh. d.A.)
[…]
In einem gemeinsamen Text umreißen der erfolgreiche Leipziger Linken-Politiker Nam Duy Nguyen, der Gewinner des Neuköllner Direktmandats Ferat Kocak und der Stuttgarter Luigi Pantisano bündig das Parteiprogramm: „Wir wollen, dass Die Linke eine Klassenpartei wird. Wir sind nicht umsonst Sozialist*innen. Unsere Klasse ist riesig und divers. Zu ihr gehören die migrantische Pflegekraft, der ostdeutsche Wendeverlierer und die queere Aktivist*in in akademischer Kettenbefristung gleichermaßen. Wir kämpfen für alle.“ (ND, 06.3.2025) Die bulgarische Pflegehelferin, die ein „migrantisch“ umgehängt bekommt, der Leipziger Freund der mörderischen Hammerbande, die schwäbische Neuberlinerin, die ihre merkwürdigen also queeren Vorlieben auf arabische Jungmänner überträgt und der Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der sich mit schlecht bezahlten Lehraufträgen im Bereich postcolonial studies über Wasser hält und sich schon deshalb mit Beiträgen für das Feuilleton des extrem israelfeindlichen Neuen Deutschland ein Zubrot verdient wie coronageschädigte Ideologiekritiker auch – das sind zwar bei weitem nicht alle, aber alle sind sie divers, nämlich „im Hinblick auf Alter, Hautfarbe, Geschlecht, Weltanschauung, sexuelle Orientierung oder Behinderungen. […] Vorurteilen und Ablehnungen“ ausgesetzt, die „zu Benachteiligung und Diskriminierung führen.“ (fes.de, Glossar der Diversität)
Diese Klasse, in der die Pflegehelferin nur als Verdammte dieser Erde im Sinne von Frantz Fanon beziehungsweise des Intersektionalismus vorkommen darf und nicht als Arbeiterin, präsentiert sich als Gemeinschaft von Kümmerern, denen ein Leid angetan wurde. Die Linkspartei behauptet, für alle zu kämpfen, weil sie den vernachlässigenswerten Rest, ohne den echte Volksgemeinschaft nicht auskommt, schon vorab ausgesondert und als faschistisch gebrandmarkt hat. In der wahlentscheidenden Kampagne gegen rechts im Januar und Februar 2025 hat die Linkspartei Friedrich Merz nicht deshalb als Nazi in Verruf gebracht, weil er alt, männlich und reich ist, sondern weil diese Merkmale zusammen eine Feinderklärung ergeben, auf die sich Linke nicht erst im Jahr 2025 weltweit einigen können. Dass Merz am 24.2.2025 in einem Telefonat zugesagt hatte, dass er für den Fall eines Besuchs Benjamin Netanyahus „Mittel und Wege finden werde, dass er Deutschland besuchen und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen“ wird und dem noch hinzufügte: „Ich halte es für eine ganz abwegige Vorstellung, dass ein israelischer Ministerpräsident die Bundesrepublik Deutschland nicht besuchen kann“, unterstreicht, warum es sich bei ihm um einen Faschisten handeln müsse. (Welt, 25.2.2025)
Wenig Aufregung
Als nach dem Berliner Landesparteitag im Oktober 2024 der langjährige Landesvorsitzende und ehemalige Kultursenator Klaus Lederer sowie vier weitere prominente Linken-Politiker ihren Parteiaustritt erklärten, war die Aufregung nicht so groß, wie es sich die Lederer-Truppe, der das schlechte Ergebnis bei der Abgeordnetenhauswahl 2023 angelastet wird, wohl erhofft hatte. Lediglich von „großem Bedauern“ und einem „schmerzlichen Verlust“ war von Seiten der Bundesgeschäftsführung unmittelbar nach dem Austritt die Rede, bevor man wieder zur Tagesordnung überging. (die-linke.de)
Hintergrund war der Streit über eine Passage im Antrag „Gegen jeden Antisemitismus – Emanzipation und universelle Menschenrechte verteidigen!“, den die Genannten mit mehreren Dutzend anderen Genossen eingebracht hatten. Die Mehrheit der Delegierten nahm daran Anstoß, dass in dem Antrag „von sich politisch links verortenden Menschen“ die Rede war, die das Hamas-Massaker am 7. Oktober „relativiert und mitunter gar gefeiert […] oder gar zur Vernichtung Israels aufgerufen“ hätten. Im Wortlaut: „Dass von sich politisch links verortenden Menschen in Berlin das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 u.a. an Kleinkindern, Familien und Festivalbesucher*innen relativiert und mitunter gar gefeiert wurde oder zur Vernichtung Israels aufgerufen haben, alarmiert uns zutiefst. Niemals dürfen Linke die Rolle des eliminatorischen Antisemitismus ignorieren, der den Terror und die Strategien von Akteuren wie der Hamas und der Hisbollah sowie deren Unterstützung durch das iranische Mullah-Regime antreibt. Die Hass-Propaganda solcher sich als ,Befreiungsbewegungen‘ gerierenden Akteure verfängt mehr denn je auch hier.“ Mit knapper Mehrheit wurde ein Änderungsantrag beschlossen, der die erwähnte Stelle so abwandelte: „Dass Menschen in Berlin das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 u.a. an Zivilist*innen, darunter Kleinkindern, Familien und Festival-besucher*innen und asiatischen Arbeitsmigrant*innen relativiert und mitunter gar gefeiert haben, kritisieren wir entschieden.“ (Hvh. d.A.) Von den sich „politisch links verortenden Menschen“ blieben noch Menschen übrig und auch der Verweis auf die intendierte Vernichtung Israels wurde kassiert. Daraufhin zogen die Antragsteller ihren Antrag zurück und verließen den Sitzungssaal.
Dabei waren Lederer & Co. mit ihrem Antrag schon ganz auf der neuen Linie und hatten ein Bekenntnis abgegeben, das einem Ferat Kocak nach dem Munde redete: „Wir wenden uns in aller Deutlichkeit gegen die von rechter und konservativer Seite permanent vorgenommene pauschale Verdächtigung von Muslim*innen, Palästinenser*innen, Geflüchteten und Menschen mit Migrationsgeschichte. Aus diesem Generalverdacht sprechen Ressentiment und Rassismus. Ebenso wie die Rede von einem ‚importierten Antisemitismus‘ dient er vor allem der Selbstentlastung einer Mehrheitsgesellschaft, die vor den Kontinuitäten des nie verschwundenen Antisemitismus die Augen verschließt. Wir lassen nicht zu, dass die Kämpfe gegen Rassismus und Antisemitismus gegeneinander ausgespielt werden.“ (dielinke.berlin) Die Linke geriert sich gern als eine Partei des Konsenses. Die Gruppe um Lederer wurde abgestraft, weil ein der Mehrheit deutlich näher stehender Aktivist des Neuköllner Bezirksverbands schweren Herzens geopfert werden musste: Ramsis Kilani. Der hatte die Hamas für ihren Überfall auf Israel am 7. Oktober gefeiert und sich gegenüber der Taz als einen „Kopf der Palästina-Bewegung“ bezeichnet. Im Januar 2025 wurde Kilani endgültig wegen parteischädigendem Verhalten ausgeschlossen, weil er in einem Tweet geschrieben hatte: „Wir sind bereit, den antikolonialen Befreiungskampf durchzuziehen und international zu unterstützen. Ich denke, es wird mehr als ‚einen Mord an Israelis‘ brauchen.“ (z.n. ND, 11.12.2024) Zuvor hatte sich der Vorstand des Neuköllner Bezirksverbandes unter Ferat Kocak ausdrücklich hinter Kilani gestellt. Aus Protest gegen den Rauswurf des Genossen verließ die frühere Bundestagsabgeordnete und antisemitische Scharfmacherin Christine Buchholz mit einigen anderen Genossen ebenfalls die Partei. Auch das steht, wie der Austritt des Lederer-Flügels, für eine tiefergehende Veränderung. Trotzkistische U-Boote wie Christine Buchholz, die zuletzt der Gruppierung Sozialismus von unten vorstand, stehen für einen traditionellen Antiimperialismus, der zwar inhaltlich von allen Linken geteilt wird, aber wegen seiner allzu krassen Wortwahl als parteischädigend gilt. Die auf die Vernichtung Israels abzielende Position von Gestalten wie Kilani und Buchholz wurde durch die Bestrafung von Leuten bekräftigt, die im Verdacht stehen, am Existenzrecht Israels festzuhalten.
Weiterlesen:
Redaktion Bahamas – Das Bündnis von Volkssolidarität und Moschee als Krisenlösung