Was sich gestern in Thüringen abgespielt hat, gehört zu den politischen Schurkenstücken der unappetitlichsten Sorte. Der Putsch gegen die Demokratie wurde zu einer Zeit geführt, als man davon ausgehen konnte, dass die Öffentlichkeit von der Hochwasserkatastrophe so abgelenkt ist, dass sie nicht weiter darauf achtet, was sich in einem der kleinsten Bundesländer abspielt. Und ja, ein Putsch gegen die Demokratie muss nicht mit militärischer Gewalt ausgeführt werden. Es genügen demokratisch gewählte Abgeordnete, die ihre persönlichen Interessen absolut setzen und denen das Schicksal ihrer Wählerschaft völlig egal ist.
Bekanntlich wurde im März 2020 auf Wunsch von Kanzlerin Merkel die reguläre Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten rückgängig gemacht. Mit dem merkwürdigen Argument, dass es unter den frei gewählten Landtagsabgeordneten solche gäbe, deren Stimme auf keinen Fall zählen dürfe, und mit einer Kampagne, die sich nicht scheute, „Millionen von Toten“ in Buchenwald zu instrumentalisieren, wie es Bodo Ramelows Kanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff tat, wurde Kemmerich wieder aus dem Amt gedrängt.
Die Wahl von Bodo Ramelow, dessen rot-rot-grüne Koalition bei der Landtagswahl ihre Mehrheit verloren hatte, wurde an die Bedingung geknüpft, dass innerhalb eines Jahres Neuwahlen stattzufinden hätten. Dafür war die CDU bereit, „konstruktive Opposition“ zu spielen und der Minderheitsregierung zu den notwendigen Mehrheiten zu verhelfen. Damit wurde sie zum zweiten Mal in ihrer Geschichte zum Mehrheitsbeschaffer für die SED, denn nichts anderes ist die viermal umbenannte Linke.
Eigentlich hätte die Wahl schon im April stattfinden sollen, aber Corona sei Dank, wurde sie geräuschlos auf September, dem Termin der Bundestagswahl, verschoben. Darüber, ob der Landtag sich tatsächlich auflösen würde, wurde in den letzten Wochen viel spekuliert. In allen Parteien fanden sich Abgeordnete, denen das eigene Hemd lieber war als der demokratische Rock. In der CDU-Fraktion gab es zum Schluss vier Abgeordnete, die sich einer Auflösung des Landtags widersetzten. Es handelt sich um die Abgeordneten Michael Heym aus Südthüringen, Christina Tasch aus dem Eichsfeld, Maik Kowalleck aus dem Kreis Saalfeld-Rudolstadt und Jörg Kellner aus dem Kreis Gotha. Ihre Erklärung kann man als typische Politiker-Verlogenheit ansehen. Darin heißt es unter anderem, sie könnten keinen gewichtigen Grund dafür erkennen, den Landtag aufzulösen. Die Landesregierung gehe ihren Geschäften nach, ein beschlossener Haushalt biete Sicherheit für das Land. Heißt im Klartext: Uns ist egal, wer das Land regiert, solange unsere Diäten fließen. Alle vier, so lautet der Buschfunk, hätten Schwierigkeiten, wieder aufgestellt zu werden.
Die drei Herren kenne ich nicht näher, Christina Tasch schon. Die hatte sich in der Vergangenheit immer als eifrige Kämpferin gegen die SED-Linke geriert und noch im Februar 2020 auf einer öffentlichen Veranstaltung verkündet, sie würde auf keinen Fall Ramelow zum Ministerpräsidenten wählen. Auch Tasch schert ihr Geschwätz von gestern nicht.
Die vier Anti-Demokraten bei der CDU machten es den Abgeordneten der Linken leicht, sich hinter ihnen zu verstecken. So verkündete der Linke Knut Korschewsky, er werde an der Abstimmung nur teilnehmen, wenn die CDU so viele Stimmen bringe, dass Rot-Rot-Grün und CDU die nötige Zweidrittelmehrheit allein erreichen können. Seine Fraktionskollegin Kati Engel schloss sich dem laut Presseberichten an.
Als sich abzeichnete, dass die Auflösung mit der Stimme der FDP-Abgeordneten Ute Berger doch noch zustande kommen könnte, hieß es bei Korschewsky: “Ich begebe mich weder in die Hände der faschistischen AfD noch der FDP“. Wieso AfD und FDP der Hinderungsgrund sein sollen, sich ehrlich zu machen und sich dem Votum der Thüringer zu stellen, wird natürlich nicht erklärt, weil es keinen guten Grund dafür gibt.
Wenn man nach der Latte, die Korschewsky gelegt hat, handeln wollte, dürfte es für die Minderheitsregierung sehr schwierig werden. AfD und auch FDP könnten jedes Vorhaben zu Fall bringen, das diese Regierung ins Parlament einbringt, indem sie ihre Zustimmung ankündigen. Dann müsste es nach dem selbst gesetzten Maßstab sofort zurückgezogen werden. Wetten, dass dies nicht passieren würde?
CDU-Fraktionschef Mario Voigt hat immerhin angekündigt, die „konstruktive Opposition“ zu beenden. Wenn er das wahr macht, hat die CDU eine neue Machtoption, ihre Vorstellungen einzubringen. Ohne ihre Zustimmung kann die Regierung nichts auf den Weg bringen. Herr Voigt kann dann schon mal beweisen, wie ernst es ihm ist, Windräder im Thüringer Wald zu verhindern.
Ministerpräsident Ramelow hat sich nach Merkel-Art aus der Diskussion rausgehalten. Aber natürlich muss er sich fragen lassen, warum er nicht einfach zurücktritt, um das Versprechen, das mit seiner Wahl verknüpft wurde, im Alleingang einzuhalten. Oder im Landtag die Vertrauensfrage stellt, um wenigstens die demokratische Fassade zu wahren. Er könnte Anfang nächster Woche die Öffentlichkeit damit überraschen. Wetten, dass er es nicht tun wird? Denn in Wirklichkeit kommt ihm dieser Putsch gegen die Demokratie sehr gelegen.
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