Die Zahl der Wohnungslosen in Braunschweig ist zum Beginn des vergangenen Jahres um 28 Prozent auf 461 gestiegen. Das entspricht einem Anstieg um 101 Personen im Vergleich zum Vorjahr, wie die Braunschweiger Zeitung berichtete. Laut Michael Bahn, Regionalleiter der Diakonischen Gesellschaft Wohnen und Beraten, ist dies eine Entwicklung, die er in dieser Dramatik seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Besonders betroffen seien nicht nur sozial Benachteiligte, sondern zunehmend auch Menschen aus der Mitte der Gesellschaft.
Die Initiative #NotrufWohnungsmarkt, die sich seit mehr als zehn Jahren gegen Wohnungsnot engagiert, fordert eine gezielte Steuerung des Wohnungsbaus über Sonderprogramme. „Viele Bevölkerungsgruppen buhlen um kleine Wohnungen – vom Studenten über den Rentner mit kleiner Rente bis hin zum Flüchtling“, heißt es von der Initiative. Auch die Stadt soll durch Kauf oder Anmietung von Wohnraum weitere Belegungsrechte sichern, um langfristig für alle sozialen Gruppen leistbaren Wohnraum zu schaffen.
Bahn warnt vor den aktuellen Entwicklungen: „Wir verlieren in Braunschweig jährlich an bezahlbarem Wohnraum.“ Neubauten könnten den Verlust an Sozialwohnungen, die nach 25 Jahren aus der Sozialbindung fallen, nicht kompensieren. „Pläne auf dem Papier nützen wenig, wenn Investoren wegen der hohen Kosten nicht bauen.“
Während die Wohnungsnot in Braunschweig dramatische Ausmaße annimmt, wurden in den letzten Monaten in der Stadt zahlreiche neue Unterkünfte speziell für Asylbewerber geschaffen, wie die Braunschweiger Zeitung Ende Jänner berichtete. Demnach wurde in der Boeselagerstraße 2 eine umgebaute Asylunterkunft fertiggestellt. Ursprünglich als Wohnheim für sehbehinderte und blinde Menschen genutzt, wurden die 66 Zimmer auf drei Etagen seit Oktober 2023 kernsaniert. Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB) nutzt das Gebäude nun für Familien und allein reisende Frauen mit älteren Kindern.
Mitte Jänner sind die ersten Bewohner eingezogen. „Sechs Zimmer sind bereits belegt“, sagt Kyra Knopf, Leiterin der LAB. Dabei wurde besonders auf die Bedürfnisse der Bewohner geachtet: Fünf Familienzimmer, davon zwei barrierefrei, bieten Platz für jeweils fünf Personen. Die übrigen Zimmer sind als Dreibettzimmer konzipiert. Zudem verfügt jedes Zimmer über ein eigenes Bad und einen Balkon – ein Komfort, den es in anderen LAB-Wohnungen nicht gibt.
Neben der sanierten Unterkunft entstehen auf dem LAB-Gelände zwei weitere Neubauten, die bis Ende des Jahres fertiggestellt sein sollen. Sie bieten weitere 250 Unterbringungsplätze, vor allem für Familien. Außerdem wird dort eine Quarantänestation eingerichtet. Die neue Unterkunft an der Boeselagerstraße bietet Platz für bis zu 216 Migranten, die vor allem aus Syrien, Georgien, der Türkei und Kolumbien kommen.
Die Migranten werden in Braunschweig registriert, medizinisch untersucht und stellen hier ihren Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Alleinreisende bleiben bis zu 18 Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung, Familien nur sechs Monate, bevor sie auf die Kommunen verteilt werden.
Ob die neue Unterkunft kurzfristig ausgelastet sein wird, ist unklar. Die Braunschweiger Erstanlaufstelle für Flüchtlinge ächze derzeit nicht unter hohem Andrang, so Kyra Knopf. Aktuell seien 400 Menschen auf dem gesamten Gelände untergebracht, täglich kämen 20 weitere hinzu. Kein Vergleich zu 2015, als die Aufnahmestelle aus allen Nähten platzte. Warum die Zahlen aktuell niedriger sind, bleibt Spekulation. „Vielleicht hängt es mit verstärkten Grenzkontrollen zusammen“, vermutet Knopf.
Vor dem Hintergrund zunehmender Wohnungslosigkeit fordert die Initiative #NotrufWohnungsmarkt konsequentes Handeln von Politik, Kommunen und Wohnungsunternehmen. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Im April wurde dazu der Nationale Aktionsplan „Gemeinsam für ein Zuhause“ verabschiedet. Doch Michael Bahn warnt, dass Kommunen nicht allein gelassen werden dürften. Er fordert ein abgestimmtes Handlungskonzept von Bund, Ländern und Kommunen. „Es bedarf der Kraftanstrengung aller.“
Trotz akuter Wohnungsnot: Braunschweig baut Unterkünfte für Hunderte Migranten