Erneut ein Antisemitismus-Skandal bei der Deutschen Welle?

Wikimedia Commons , Photo: Andreas Praefcke, CC-BY-3.0

Nachdem es bereits 2020/21 antisemitische Social-Media-Beiträge von Deutsche-Welle-Mitarbeitern öffentlich wurden, ist nach dem 7. Oktober ein Reihe neuer judenfeindlicher und terrorverherrlichender Postings aufgetaucht. 

Paul Zimmer ist Leiter der Unternehmenskommunikation der Deutschen Welle (DW). Am 16. Dezember 2023 schickte er ein englischsprachiges Mail an zahlreiche Auslandsbüros des Senders. In den Verteiler setzte er die Kulturabteilung der Deutschen Welle sowie die Büros der Abteilungen für die Programme in Arabisch, Urdu, Hindi, Bengali, für das Afghanistan-Programm, für Indonesien und für China. Zu den externen Empfängern zählten unter anderen die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und der Experte für Extremismusprävention, Ahmad Mansour. 

Es gebe Hinweise auf mögliche Verstöße gegen die Werte der DW auf privaten Social-Media-Konten von Personen, die für das Unternehmen arbeiten, schrieb Zimmer in dem Mail, das Mena-Watch vorliegt. Die »vertrauensvolle Zusammenarbeit« sei bedroht. Er wies auf zahlreiche »Tools« hin, bei denen – auch anonym – Verstöße gegen die »Werte der DW« gemeldet werden können. 

Der folgende Absatz machte klar, worum genau es ging. In Zusammenarbeit mit der Bildungsstätte Anne Frank biete die Deutsche Welle für ihre Mitarbeiter »verpflichtende Schulungen zur Sensibilisierung für Antisemitismus sowie zusätzliche Führungskräfteschulungen« an. Zimmer schärfte den Mitarbeitern ein, dass der betriebseigene Verhaltenskodex »für alle Mitarbeiter innerhalb und außerhalb ihrer Arbeit für die DW« gelte. Soziale Medien seien davon nicht ausgenommen. 

Im Verhaltenskodex stehe ausdrücklich, dass die DW weder innerhalb des Unternehmens noch in ihren Programmen »jegliche Form von Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung oder Sexismus« toleriere. Die Richtlinien der Chefredaktion zu Israel und den Palästinensischen Gebieten sei »nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober erweitert« worden, so Zimmer. Verstöße dagegen würden ernst genommen und geprüft. 

Die Botschaft: Antisemitismus wird nicht geduldet – einen Skandal wie den um zahlreiche Antisemiten beim arabischsprachigen Programm der Deutschen Welle braucht man bei dem Sender in Köln nicht noch einmal. 2020/21 war im Zuge von Recherchen von Moritz Baumstieger, einem Redakteur der Süddeutschen Zeitungbekannt geworden, dass etwa DW-Redakteur Morhaf Mahmoud auf Facebook geschrieben hatte, »der Kulturbereich« werde »von jüdischen Netzwerken kontrolliert«. Auch ein Holocaustleugner gehörte zu den DW-Mitarbeitern: Daoud Ibrahim, ein Ausbilder der Deutsche-Welle-Akademie, der in Beirut Journalismus-Workshops veranstaltete, bezeichnete den Holocaust als »Lüge«.

Dämonisierung Israels …

Dass Zimmer es im November für notwendig hielt, den Kollegen eine Mahnung zu erteilen, hatte einen Grund. In den Wochen nach den Massakern des 7. Oktober hatten freie Mitarbeiter der Deutschen Welle, die an Produktionen des Senders beteiligt sind, ihre Twitter-Accounts genutzt, um Propaganda für die Hamas, die Hisbollah und das iranische Regime zu verbreiten und Israel zu dämonisieren.

Ein Whistleblower, der für das Medienunternehmen arbeitet, hat Mena-Watch darauf aufmerksam gemacht und uns zahlreiche Screenshots und Hintergrundinformationen geschickt – mehr, als wir im Folgenden darstellen können.

Da ist etwa Suhail Bhat, Mitarbeiter der Deutschen Welle in Indien. Noch immer online ist sein Tweet vom 12. November 2023, der das Video einer Pro-Hisbollah-Demonstration zeigt, deutlich zu erkennen an den gelben Hisbollah-Fahnen, die von den Teilnehmern geschwenkt werden, begleitet von Rufen wie »Tod für Israel! Tod für Amerika!«. Bhats Kommentar:

»Seit Jahrzehnten organisieren Schiiten jeden letzten Freitag im Ramadan Kundgebungen aus Solidarität mit Palästina. Man glaubt, dass solche Ereignisse nicht stattfinden würden, wenn sich Muslime weltweit zusammenschließen würden, um für Palästina einzutreten, da die Muslime kollektiv für die Situation in Palästina verantwortlich sind.«

Die Hisbollah als Vorbild für alle Muslime weltweit – ist das eine Botschaft, die die Deutsche Welle aussenden will?

Ebenfalls noch im Internet zu finden ist sein Tweet vom selben Tag, in dem er das Gerücht verbreitet, »alle Beatmungspatienten« im Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza seien gestorben, weil Israel den Strom abgestellt habe. Ein Foto des Quds-Netzwerks, das im Al-Shifa-Krankenhaus aufgenommen worden sein soll, ist beigefügt. Der Twitter-Community-Note, in der dieser Behauptung unter Hinweis auf einen Bericht der New York Times und des Quds-Netzwerks selbst widersprochen wird – lediglich zwei Patienten seien aus nicht bezeichneter Ursache gestorben –, scheint Bhat nicht zu stören. Bemerkenswert auch ein Tweet vom 7. Mai 2021:

»Der Al-Quds-Tag ist ein internationaler Tag und nicht nur für Quds [arabischer Name Jerusalems; Anm. Mena-Watch]. Es ist der Tag, an dem die Arroganten mit den Unterdrückten konfrontiert werden; es ist der Tag, an dem wir den von Amerika und Israel unterdrückten Nationen begegnen.«

In einem mittlerweile gelöschten Tweet vom 13. Oktober, von dem Mena-Watch einen Screenshot besitzt, bezeichnete Bhat die Gräuel und Entführungen des 7. Oktober als »Vergeltung«, welche die Hamas geübt habe und für die man Verständnis aufbringen müsse: »Einige Personen, die sich als Liberale bezeichnen, haben sich bisher nicht zur israelischen Besatzung geäußert, äußern nun aber ihre Besorgnis über die Vergeltungsmaßnahmen der Hamas. Ihre Gefühle könnten einem tief verwurzelten Hass gegen Muslime entstammen.«

… und der Juden

Und dann gibt es noch Darash Dawood, auf dem offiziellen X-Account von DW Asia als freier Mitarbeiter ausgewiesen, und Verlinkung zu dessen X-Account. Klickt man ihn an, gelangt man direkt zu Hisbollah-Propaganda. Erst vor wenigen Tagen verlinkte Dawood das Video einer Hisbollah-Prozession für einen »Märtyrer«. Am 31. Juli teilte der DW-Mitarbeiter das Video einer Predigt von Muhammad Baqir as-Sadr, eines irakischen schiitischen Großayatollahs, der im Irak eine Theokratie nach iranischem Vorbild errichten wollte und 1980 auf Befehl Saddam Husseins ermordet wurde. Dem Video sind englische Untertitel unterlegt, die auf Deutsch lauten:

»Die Juden werden Demütigung und Grausamkeit durch die Hand der Gläubigen erleiden, so Allah will, so wie sie es den Gläubigen angetan haben. Selbst der Stein wird den Gläubigen rufen und wird sagen: ›Da ist ein Jude hinter mir, also töte ihn‹.«

Zimmers Appell scheint bei Darash Dawood nicht angekommen zu sein. Auch war es wohl eine leere Drohung, dass die Deutsche Welle ein Auge auf die Social-Media-Accounts ihrer Mitarbeiter haben und dafür sorgen werden, dass diese keinen Antisemitismus mehr verbreiten.

In anderen Tweets – wie etwa diesem – feiert der Deutsche-Welle-Journalist Dawood den Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Ein anderer lobt die Hamas dafür, Wasserrohre zu Raketen umfunktioniert zu haben. Dass dies nicht etwa Kritik daran ist, wie rücksichtslos Terroristen sich gegenüber den elementaren Bedürfnissen der Zivilbevölkerung verhalten, ist daran zu erkennen, dass diese Praxis den hohen Kosten einer israelischen Abwehrrakete gegenübergestellt wird: »Die Arithmetik ist klar aufseiten der Hamas.« 

Ein weiterer von Darash Dawood verbreiteter Tweet enthält einen Kurzfilm mit dem Slogan »Boycott for Rafah«. Darin werden bei Konsumenten bekannte Marken präsentiert – darunter auffällig viele Hersteller von Mineralwasser und Limonaden –, die es zu boykottieren gelte, da sie Teil einer angeblichen Verschwörung gegen den Gazastreifen seien.

Auch der Inder Najmus Saqib ist Mitarbeiter der Deutschen Welle, wie man hier sehen kann. Klickt man beim DW-Account der Deutschen Welle auf den Link mit seinem Namen, kommt man zu seinem Account, der zahlreiche antisemitische, Terror verherrlichende und homophobe Botschaften enthält wie etwa diesen:

»Eine feurige Botschaft des ehemaligen malaysischen Premierministers Mahathir Muhammad. Er tadelt Israel und die USA für den Völkermord in Gaza. Er rechtfertigt auch die Aktionen der Hamas und des palästinensischen Widerstands. Er nennt sie ›Helden‹ und ›Freiheitskämpfer‹ – und lehnt die Idee ab, sie als ›Terroristen‹ zu bezeichnen. Er sagt, der Krieg gegen den Terror sei ein riesiger Schwindel, um eine neue Welle des US-amerikanischen und israelischen Kolonialismus zu rechtfertigen, der das Öl und das Land anderer an sich reißen will.«

Dass dies zustimmend zitiert wird und nicht etwa in kritischer Absicht, geht aus dem Zusammenhang hervor: der antiisraelischen und dschihadistischen Stoßrichtung des gesamten Accounts. Da wird etwa diese Falschnachricht verbreitet: »75 Jahre nach dem jüdischen Holocaust zahlt Deutschland immer noch Milliarden an Israel.« 

Über Israelis schreibt der DW-Journalist: »Für sie ist Homosexualität Liebe und Menschlichkeit nichts.« Ein Tweet zum Vatertag enthält die Botschaft: »Du bist hier, weil dein Papa nicht queer ist.« Ebenfalls von Saqib geteilt wurde die Aussage: »LGBTQ ist die neue Anti-Baby-Pille.«

In diesem Tweet wird zu einem heiligen Krieg zur Eroberung Israels und Europas aufgerufen: »Al-Aqsa wird zu uns zurückkehren. Andalusien wird zu uns zurückkehren.« Al-Andalus war der arabische Name für die zwischen 711 und 1492 muslimisch beherrschte Region der Iberischen Halbinsel. Die Ausdehnung des Gebiets reichte zeitweise bis nach Südfrankreich. In der Propaganda von Al-Qaida oder dem IS spielt die Idee einer muslimischen Rückeroberung von Al-Andalus und seiner Einverleibung in ein Kalifat eine zentrale Rolle.

Auch geteilt wird eine Animation des Accounts »Halal Nation«, der die falsche Behauptung eines angeblich seit 1948 kontinuierlich fortschreitenden israelischen Eroberungsfeldzugs und einem infolgedessen permanent wachsenden israelischen Staatsgebiet verbreitet. In einem Tweet vom 11. November 2023 benutzte Saqib den Hashtag #FreePalestineFromZionist (»Befreit Israel vom Zionisten«).

Zwischenzeitlich gelöscht

Viele Tweets von DW-Mitarbeitern, von denen Mena-Watch Screenshots besitzt, wurden zwischenzeitlich gelöscht. Der oben erwähnte Suhail Bhat forderte am 17. Oktober 2023 offenbar einen umfassenden arabischen Angriff auf Israel, als er schrieb: »Die Geschichtsschreibung wird feststellen, dass der Gazastreifen von 21 arabischen Staaten umgeben war, die alle schwer bewaffnet waren und nichts unternommen haben.«

Dazu teilte er im selben Monat einen Tweet von Ayatollah Khamenei, in dem dieser schrieb, der Glaube an den Imam Mahdi gebe den »Mut, das Böse zu bekämpfen«. In etlichen anderen von Bhat weiterverbreiteten Tweets wurden die Führer von Hamas, Hisbollah und der Islamischen Revolutionsgarde gefeiert. In einem Tweet vom 3. Januar 2021 etwa wurden lobende Worte von Hamas-Chef Ismail Haniyeh über den getöteten Terroristenführer Qassem Soleimanizitiert. Und am 13. Mai 2022 schrieb der DW-Mitarbeiter: »Fucking Israel«.

DW-Mitarbeiter Samaan Lateef schrieb am 9. Oktober 2023, das Kabinett des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu bestehe aus »einer Bande von Kriminellen, die in Pogromen politische Dividenden« sehen. In einem von Lateef weiterverbreiteten Tweet vom 15. Oktober 2023 wurde Geschichtsklitterung betrieben: Die Araber hätten die Juden nach dem Zweiten Weltkrieg »mit offenen Armen und der berühmten Gastfreundschaft Palästinas« empfangen. Demgegenüber würden Israelis die Araber angeblich als »Ratten« und »Tiere« bezeichnen.

Die indische DW-Korrespondentin Midhat Fatimah verbreitete am 29. November 2023 mehrere Tweets des amerikanischen Rechtsextremisten und Putin- und Khamenei-Sympathisanten Jackson Hinkle, darunter einen, in dem Hinkle für eine App warb, die dabei helfe, israelische Produkte zu boykottieren, um »keinen Genozid« zu unterstützen.

Der in Bonn ansässige DW-Journalist Saeed Rafat verbreitete am 12. Mai 2021 einen Text auf Facebook, in dem es hieß, Israel werde »einen hohen Preis für seinen Genozid an unbewaffneten Palästinensern zahlen«. Israels »rassistische Naziführung« werde »die Folgen ihrer ruchlosen Handlungen« zu spüren bekommen: »Diesmal wird Israel nicht von seinen Gönnern gerettet werden.«

Nachfrage

Mena-Watch wandte sich an die Pressestelle der Deutschen Welle. Wir zitierten aus dem Mail von Paul Zimmer und fragten: »Hat die Ermahnung aus Sicht der DW zu einer Besserung der Lage geführt? Gab es seither Fälle, in denen sich freie Mitarbeiter der DW Asia in den sozialen Medien in einer Weise geäußert haben, die gegen den erwähnten Verhaltenskodex und die Richtlinien der Chefredaktion verstieß?«

Als Beispiel für antisemitische Propaganda zitierten wir Darash Dawood und die von ihm verbreitete Hisbollah-Propaganda sowie die Predigt, in der zur Tötung von Juden aufgerufen wird. Wir fragten: Ist dies ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex der DW?

Die Deutsche Welle antwortete, Dawood sei ein freier Mitarbeiter »ohne redaktionelle Verantwortung» gewesen und arbeite seit Oktober 2023 nicht mehr für den Sender. Weiter heißt es: »Die DW geht allen Hinweisen nach und prüft in jedem Einzelfall unabhängig, wenn eine Äußerung von Mitarbeitenden vermeintlich gegen unseren Code of Conduct verstößt.« Die von der DW etablierten Strukturen hätten sich bewährt.

Erneut ein Antisemitismus-Skandal bei der Deutschen Welle? (mena-watch.com) / Stefan Frank