Regierungskritische Beiträge zurückgehalten: Beim NDR rollen erste Köpfe

Der Skandal um die Zwangsgebührenverschwendung beim RBB hat dazu geführt, dass nicht nur finanzielles Fehlverhalten, sondern auch die politische Kungelei von Verantwortlichen anderer ÖRR-Sender an Licht gekommen ist. Inzwischen hat der Flächenbrand auch den Norddeutschen Rundfunk erfasst: Nachdem dort sechs Dutzend Bedienstete aus der Schweigespirale ausgebrochen waren und in einem Brandbrief an die Chefetage interne Zensur und Meinungsunterdrückung angeprangert hatten, geriet ein Stein ins Rollen – der nun Chefredakteur Norbert Lorentzen und Politik-Chefin Julia Stein den Kopf kostete; beide wurden am Wochenende ihrer Ämter entbunden.

Die besagten 72 Mitarbeiter des NDR hatten in ihrem Brandbrief an die Führung des Sendersgeschrieben, in dem sie „eine lückenlose und transparente Aufarbeitung aller Vorwürfe“ fordern. Hintergrund waren Berichte aus der vorletzten Woche,  wonach sich bereits im September 2021 massive Kritik am Gebaren hoher Mitarbeiter entzündet hatte: Damals waren kritische Berichte zur schleswig-holsteinischen Landesregierung und insbesondere über Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) systematisch unterdrückt oder beeinflusst worden, wie aus einem internen Bericht des NDR-Redaktionsausschusseshervorging.

Konkret sei von den Senderoberen verhindert worden, dass ein Bericht über die nebulösen Begleitumstände des Rücktritts von Innenminister Hans-Joachim Grote vor zwei Jahren gesendet wurde, der die Darstellung von Günther ins Wanken gebracht hätte. Auch ein geplantes Interview mit Grote wurde von den Vorgesetzten des den Fall recherchierenden Journalisten abgelehnt. Die Rede war von einem „politischen Filter“ und von Führungskräften, die wie „Pressesprecher der Ministerien“ agieren würden. Der interne Bericht kam zu dem Schluss, dass die Vorwürfe berechtigt seien. Das Interview mit Grohe hätte dabei zwingend geführt werden müssen, so der Bericht weiter. Es bestehe der „Anfangsverdacht einer redaktionellen/politisch motivierten Einflussnahme.“ 

Seitdem war jedoch nichts geschehen, intern wurde ein Mantel des Schweigens über die Vorwürfe gebreitet, die systemtreue Senderleitung machte mit ihrem regierungsloyalen Kurs weiter wie eh und je. In ihrem Brandbrief forderten die 72 Mitarbeiter deshalb nun endlich Aufklärung: „Es ist uns wichtig, dass alle Vorwürfe aufgeklärt werden”, heißt es darin. Nur so sei es möglich, „verlorenes Vertrauen bei uns und bei den Zuschauer*innen, Zuhörer*innen und User*innen wieder herzustellen.” Wenn auch die Unschuldsvermutung gelte, sei man doch „schwer erschüttert“ über die jüngsten Veröffentlichungen und erwarte, dass alle Mitarbeitenden des NDR Schleswig-Holstein “zeitnah und vollumfänglich über die weiteren Vorgänge informiert und am Aufarbeitungsprozess beteiligt werden.

Ab Montag vergangener Woche aber ging es Schlag auf Schlag: Zuerst hatten sich die beiden damals für die Vertuschung des Berichts verantwortlichen Mitarbeiter selbst für befangen erklärt und mitgeteilt, sie würden keine journalistischen Beiträge mehr abnehmen, in denen es um die Vorwürfe gegen den NDR in Kiel gehe. Daraufhin hatten sich noch mehr Mitarbeiter öffentlich über die interne Zensur beschwert.

Der heutige EU-Abgeordnete und frühere schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete der “Piratenpartei”, Patrick Breyer, sagte, wenn der NDR „eine Propagandaabteilung oder der Hofberichterstatter der Regierung“ sei, verliere er seine Existenzberechtigung.Immer mehr Medien, auch andere ARD-Sendeanstalten sowie die “Tagesschau” berichteten – wohl aus purer Verzweiflung (oder um von sich selbst abzulenken?) – über die NDR-Machenschaften.

Dieser geriet zunehmend ins Taumeln. Hatte der Sender zuvor noch jegliche politische Einflussnahme „entschieden“ zurückgewiesen, konnte er den sich erhärtenden Vorwürfen schließlich nichts mehr entgegensetzen – und zog mit der Suspendierung (und damit Quasi-Entlassung) von Chefredakteur Lorentzen und Politik-Chefin Stein die Notbremse.Man wolle weitere Beweise abwarten. Diese dürften jedoch gar nicht nötig sein: Dass die Vorwürfe der Belegschaft zutreffen, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Denn bei der teilweise fast schon sklavischen Aneinanderkettung zwischen so mancher Landesregierung und dem jeweiligen zuständigen ÖRR-Sender und anderen Mainstream-Medien wissen die meisten Verantwortlichen schon aus Selbsterhaltungstrieb genau, was von der Politik noch an kritischer Berichterstattung geduldet wird, ohne dass man sich weitere Karriereschritte verbaut. Der – zumindest offiziell unabhängige – Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein hat inzwischen jedenfalls eine Prüfung eingeleitet; es bleibt abzuwarten, ob der der aktuelle öffentliche Druck auf den ÖRR lange genug anhält, um zu verhindern, dass diese Prüfung im Sande verläuft und alles beim Alten bleibt.

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