Mahsa Amini aufs Grab gespuckt – Wie der Diversity-Diskurs das Kopftuch zum feministischen Symbol umlügt

Mahsa Amini

Zwei, die es besonders gut verstehen, die Bösartigkeit der in Familie und Kiez sich ausbreitenden islamischen Herrschaftspraxis in Watte zu packen, sind das moslemisch-jüdische Traumehepaar Saba-Nur Cheema und Meron Mendel. Cheema ist deutsche „Muslima“ mit pakistanischen Eltern und berät die Bundesregierung in Sachen antimuslimischen Rassismus, Mendel ist jüdischer Israeli, der als Chef der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank amtiert. In der FAZ vom 28.12.2022 trugen die beiden zusammen, was seit Jahren als „Diskurs“ über Freiheit und Zwang herumgereicht wird, in Wirklichkeit aber die angebliche Freiheit, sich der Barbarei anpassen zu müssen, bejubelt. Da im Herbst 2022 ihr Monopol kurzzeitig erschüttert schien, reagierten Cheema und Mendel stellvertretend für die ganze Zunft auffällig aggressiv. Weil die „Kopftuchfrage“ im Iran „gewissermaßen symbolisch für die staatliche Repression“ stünde, fühlte sich die besonders unseriöse Spezies der „selbsternannten Islamkritiker“ in ihrer Position bestärkt, „dass das Kopftuch auch hierzulande ein Symbol der Unterdrückung sei. Allerdings ist der Unterschied zwischen hier und dort gewaltig. Unbenommen, das Kopftuch wurde jahrhundertelang den muslimischen Frauen von der patriarchalischen Gesellschaft aufgezwungen. Aus unserem Familienkreis kennen wir genug solcher Geschichten von Mädchen und Frauen, die dem Druck der Eltern oder der Religionsgemeinden nachgeben mussten. Doch gibt es in Europa auch Frauen, die das Tragen des Kopftuchs als emanzipatorischen Akt begreifen“.

Diese Zwei-Welten-Theorie unterschlägt sorgsam, dass hier wie dort die identische Ideologie und verwandte Praktiken Frauen und Mädchen unters Kopftuch zwingen. Im Iran bis 1979 war die Freiheit vom Kopftuch nur ein von einer Minderheit in Anspruch genommene Ausnahme für die Angehörigen der privilegierten Schichten, die allerdings vom Staat als Angebot für ausstiegswillige Mädchen und Frauen ausgedehnt wurde. Auch vor der islamischen Revolution war die Knechtung das genauso gott- wie naturgegebene Schicksal der überwiegenden Mehrheit der Frauen. Unter den Mullahs wurde das Ressentiment der Mehrheit zum Gesetz gegen eine gehasste Minderheit, was nach Jahrzehnten der Verzögerung im allgemeinen Protest gegen das abgewirtschaftete Regime heute die Ablehnung des Kopftuchzwangs als den von allen geteilten Ausdruck des Widerstands erscheinen lässt. Das ist Vorteil und Fluch zugleich. Zwar müssen sich Frauen, die das Kopftuch ablehnen, gegenüber ihren womöglich viel befangeneren Mitstreitern nicht mehr erklären und können ihre privaten Wünsche jederzeit mit dem allgemeinen Wunsch, das Mullah-Regime zu stürzen, begründen ohne als Hure disqualifiziert zu werden. Zugleich müssen weder sie noch ihre Mitstreiter sich zur islamischen Zwangsmoral äußern und können der Frage ausweichen, ob denn alles schlecht am Islam sei. Eine Revolution räumt nicht automatisch mit dem über viele Jahrhunderte tradierten falschen Denken und Fühlen auf. Erst dann wenn die Verheerungen im eigenen Seelenhaushalt Gegenstand von Kritik und Selbstkritik werden und das keineswegs staatlich organisierte System aus Familie und Nachbarschaft, Ehre und Respekt rücksichtslos verworfen wird, ist gewährleistet, dass neue Machthaber in einem nachrevolutionären Iran sich nicht Zustimmung organisieren, indem sie den Faschismus im religiösen Gewand zur Privatsache erklären und unter Naturschutz stellen.

In Deutschland, wo Verwestlichung ein Schimpfwort ist, weil jeder so frei ist, die Restbestände der notwendig universale Geltung beanspruchendenbürgerlichenFreiheit entweder als ohnehin abgeschafft zu verwerfen oder, was auf das gleiche hinausläuft, die Freiheit als einen beliebigen um partikulare Vorlieben erweiterbaren Katalog zu definieren, zu dem das Recht auf Faschismus unbedingt gehören soll wenn er denn als kollektives Bedürfnis indigener Gemeinschaften eingefordert wird, sollen endlich auch die letzten selbsternannten Islamkritiker, die ständig Geschichten von Mädchen und Frauen erzählen, die dem Druck der Eltern oder der Religionsgemeinden nachgeben mussten, akzeptieren, dass hier und heute das Tragen des Kopftuchs als emanzipatorischer Akt begriffen wird. Cheema und Mendel weiter: „Erst kürzlich trafen wir eine Bekannte, die neuerdings Kopftuch trägt. Unsere fragenden Blicke kommentierte sie damit, dass sie ,nach langer Zeit wieder einmal etwas nur für mich‘ machen wollte. Das Gefühl von Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit kann paradoxerweise beim Ablegen als auch beim Tragen eines Kopftuchs entstehen. Hauptsache, die Frauen entscheiden selbst.“ (FAZ, 28.12.2022) Wofür sich die Mehrheit der Frauen und immer kleinere Mädchen selbst entscheiden, kann man auf jedem Bürgersteig und in jedem Schulhof migrantisch geprägter Problembezirke bewundern, während von fröhlichen Feiern, auf denen Frauen sich ihren Hijab herunterreißen, nichts bekannt ist. Bekannt ist dagegen, dass die Entscheidung gegen das Kopftuch für Frauen und Mädchen in Deutschland mindestens mit Beleidigungen und Drohungen und häufig genug mit dem Ausschluss aus Familie und Community einhergeht und immer wieder auch ihre Ermordung durch Familienangehörige zur Folge hat.

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Die Distanziertheit gegenüber den für ihre Freiheit vom Kopftuch kämpfenden iranischen Frauen, die die Protagonisten feministischer Außenpolitik wahren, hängt im Kern damit zusammen, dass man ihren Kampf als bedrohlich für die Essentials des seit Jahren immer erfolgreicher statthabenden Diversity-Diskurses wahrnimmt. Allein die zentrale iranische Protestlosung „Frau, Leben, Freiheit“ löst hierzulande in einschlägigen Kreisen Unbehagen aus, wittert man doch, dass hier die Kategorie Frau mindestens durch die Hintertür dem Diskurs über stets fluide Geschlechteridentitäten irreversiblen Schaden zufügen könnte. Wenn dann auch noch fast dreitausend vornehmlich iranische Exil-Akademikerinnen, -Künstlerinnen und -Schriftstellerinnen die Proteste im Iran in einer gemeinsamen Erklärung von Anfang Januar diesen Jahres eine „feministische Revolution“ nennen (en.radiozamaneh.com), dann erkennt man in ihnen weniger Bündnispartnerinnen als vielmehr unangenehme Konkurrenz, die zum Leidwesen der feministischen Außenpolitik von Baerbock und Co. darauf beharrt, dass der Tod Mahsa Aminis sehr wohl von einer bestimmten Religion zu verantworten ist und Islamkritik und Feminismus sich nicht nur nicht ausschließen, sondern gegenseitig bedingen. Weil man hierzulande dank fehlender Empathie für die Iranerinnen kaum mehr versteht, dass die Liedzeile „Für die Mädchen, die sich wünschten, als Jungen geboren zu sein“ aus der inoffiziellen iranischen Protesthymne „Baraye“ kein künstlerisch wertvoller Beitrag zum hiesigen Transgenderdiskurs ist, sondern die islamische Ungleichbehandlung von Mädchen und Frauen zum Thema hat, hat man auch kein Gespür dafür, wie sehr man mit dem Hochjubeln des Kopftuchtragens zum coolen emanzipatorischen Akt Mahsa Amini aufs Grab spuckt. Die Begeisterung für Hijabistas und Hijabis hierzulande erfolgt zu einem Zeitpunkt, in dem überall in der islamischen Welt einschließlich der hiesigen sogenannten Communities der soziale Druck zum Kopftuchtragen immens zunimmt – und mit ihm das Leiden unter der von Männern bestimmten islamischen Zwangsmoral. Schon weil man es den protestierenden Iranerinnen schuldig ist, hätte man allen Vertretern des staatsnahen Diversity-Milieus bei jeder passenden Gelegenheit die Wahrheit entgegenzuhalten, dass auch jedes noch so kreativ und cool gebundene Kopftuch das antisäkulare Symbol für die Verfestigung der Unfreiheit ist, das dazu beiträgt, dass die „islamischen“ Frauen im Iran allein gelassen werden.

https://redaktion-bahamas.org/hefte/91/Mahsa-Amini-aufs-Grab-gespuckt.html