Der politisch korrekte Faschismus

Angesichts der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine fällt immer wieder auf, dass genau jene Staatsjournalistinnen jederlei Geschlechts, die sonst so empfindlich auf jede Art von Nazis reagieren, offensichtlich Wahrnehmungsstörungen haben, wenn es um die realexistierenden Rechtsradikalen in der Ukraine geht.

Von Ramiro Fulano

Meine Damen und Herren: Irgendetwas stimmt nicht mit unserer linksalternativ gleichgeschalteten Propagandamaschine. Während wir es gewohnt sind, dass jede scheinbar nichtige Bagatelle auf Rechtsextremismus und Wiederbetätigung abgeklopft wird, wollen unsere öffentlich-rechtlichen Bescheidwisserinnen jederlei Geschlechts die tatsächlichen Nazis in der Ukraine tunlichst übersehen.

Warum ist das so? Wieso machen sie das? Aus meiner Sicht ist es die zwangsläufige Folge einer vermeintlichen „Aufarbeitung der Vergangenheit“, die sich darauf versteht, genau jene Lektionen aus dem historischen Faschismus zu lernen, die politisch opportun erscheinen. Das klärt allerdings nur 80 % der Frage. Die fehlenden 20 % liegen im Auge der Betrachterinnen (m, w, d). Oder vielmehr dem, was man den blinden Fleck der Selbstwahrnehmung nennt.

Zunächst zum ersten Aspekt. Die moralische Lufthoheit über den historischen Faschismus ist in den rund fünfzig Jahren nach 1968 die conditio sine qua non – der Daseinszweck und Daseinsgrund – aller Moralweltmeister aus Deutschland geworden. Ihr symbolischer und realer Herrschafts- bzw. Führungsanspruch treffen sich in der Rhetorik insbesondere über den Nationalsozialismus – aus dem Faschismus anderer Länder lassen sich offenbar keine zweckdienlichen Schlüsse ziehen.

Die wichtigste Lehre, die das Staatsvolk aus der öffentlichen Ansprache zu ziehen hat, ist indes weder, was denn nun Faschismus ist und wie sich dieser äußert. Nein, das Fazit des offiziellen Diskurses ist schlicht: Wer die Nazis sind, bestimmen wir. So sagen es die moralisch verbildeten Stände in den Machtpositionen von Parteien, Wirtschaft, Staat zwar nicht – aber so meinen sie es.

Diese Art von scheinheiliger Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus ist dem offiziellen Diskurs eingeschrieben – sie konstituiert seinen Ursprung. Alles, was dieser Quelle entspringt, ist bestenfalls folgerichtig: in der Regel also nur halb wahr und deshalb ganz verkehrt.

Der Zweck der staatstragenden Nazi-Rhetorik besteht weniger in der Empathie mit den Opfern oder dem Schutz vor der tatsächlichen Wiederbetätigung. Derlei sind lediglich die Kollateralschäden der amtlichen Ansprache und sie werden höchstens billigend in Kauf genommen. Nein, der Zweck des offiziellen Nazi-Diskurses besteht darin, den berechtigten Antifaschismus dahin umzulenken und dort zu entsorgen, wo er die Staatsgeschäfte der Nachkommen und politischen Erben der historischen Tätergeneration nicht weiter stört, sondern ihnen womöglich sogar dient.

Wer Nazi ist, bestimmen wir – alles weitere regelt ein Ausnahmegesetz. So oder so ähnlich ist auch der juristische Durchmarsch der bayrischen und niedersächsischen Innenminister zu deuten, die die Heimatfront zu rhetorischer Geschlossenheit verdonnern möchten. Offensichtlich ist es absolut nicht im Interesse Staates, sich ein Grundmaß an Meinungsfreiheit zu gönnen. Ein valides Motiv für die russische Intervention in der Ukraine zu unterstellen, darf nicht sein. Denn es gibt aus amtlicher deutscher Sicht in der Ukraine keine Nazis. Insofern kann es dort auch keine „Entnazifizierung“ geben.

Dieser ministerielle Umgang mit der Wirklichkeit ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert und vielleicht bezeichnend, denn die Aufhebung der Unschuldsvermutung (oder zumindest der Annahme, dass der Täter seine Gründe hatte) gehörte einst zu den Eckpfeilern der Nazi-Justiz im Allgemeinen und des historischen Volksgerichtshofs im Besonderen.

Und damit zum zweiten Punkt. Was zudem besorgniserregend scheint, ist die Leichtigkeit, mit der sonst alles und jedes „voll fascho“ oder auch „total nazimäßig“ gefunden wird. Z.B kurze Haare bei Männern (vorausgesetzt Sie können mit diesem Begriff noch etwas anfangen, meine Damen und Herren), Fleischkonsum (obwohl der Führer doch Vegetarier war), oder bestimmte Wörter wie „mauscheln“ (dann bekommen Sie es mit der Duden-Gestapo zu tun).

In einer Art freiflottierender Ego-Phobie wittert das postmodern traumatisierte Bewusstsein den Faschismus hinter jedem Strauch: Es hört hier das Gras wachsen und dort die Flöhe husten. Nur, dass wir uns hier richtig verstehen: Etwas mehr Aufmerksamkeit ist in den historischen Ursprungsländern des Faschismus sicherlich angebracht. Aber was ist davon zu halten, wenn bestimmte Details über jedes vernünftige Maß aufgebläht werden, um ihre Strukturen sichtbar zu machen, während bestimmte andere Phänomene – wie sie eklatanter und dramatischer kaum sein könnten – zweckdienlich unsichtbar gemacht und zum Verschwinden gebracht werden sollen?

Aus meiner Sicht hat der Wahnsinn auch in diesem Fall Methode. Während die sogenannten Azov-Brigaden munter mit ihren blau-gelben Hakenkreuzfahnen wedeln, ihre einschlägigen Tätowierungen stolz in den sozialen Medien präsentieren (und dafür vom überwiegend linksalternativen Publikum als aufrechte Freiheitskämpfer – ohne jederlei Gendersternchen – gefeiert werden) oder ihren Opfern Hakenkreuze in die Haut ritzen, ersinnt das restlos aufgeklärte, linksalternativ-deutsche Bewusstsein jede Menge Entschuldigungen und Relativierungen für diese störende Realität: von „die meinen das nicht so“ (dem Klassiker der Faschismus-Leugnung) bis „das waren Russen in ukrainischer Uniform“ (was dann also den Russen zum Nazi macht – aller historischen Evidenz zum Trotz und natürlich kein bisschen verschwörungstheoretisch).

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nicht allein, was in der Wirklichkeit geschieht. Sondern wie wir mit ihrer Ambivalenz und Komplexität umgehen. Und vor diesem Hintergrund fällt zweierlei auf: dass aus Sicht des linksalternativ-staatstragenden Bewusstseins nicht sein kann, was nicht sein darf. Und zweitens die infantile, vielleicht auch etwas idiotische Haltlosigkeit, mit der ausgerechnet das politisch ach so bewusste Milieu mal wieder von einem Extrem ins andere stürzt: Während man den Faschismus eben noch in homöopathischer Dosis aufspüren konnte, bemerkt man ihn jetzt kaum noch, wenn er in den Dimensionen eines Containerschiffs vor einem steht. Dabei handelt es sich um eine Meisterleistung der wahrnehmungspsychologischen Selbstzurichtung, in der niemand die Deutschinnen jederlei Geschlechts so leicht übertreffen kann.

Es muss am Auge des Betrachters liegen. Man nennt es den blinden Fleck der Selbstwahrnehmung. Dabei handelt es sich um jene Stelle, die die eigene Wahrnehmung konstituiert, diesen Effekt aber gleichzeitig unsichtbar macht. Jener blinde Fleck, der einem vorgaukelt, dass es sich um eine höchst objektive Art von Wirklichkeit handelt, die man erlebt, wenngleich alles subjektiv Entscheidende an ihr im eigenen Kopf geschieht. Dieses Phänomen begegnet uns hier.

Wenn also die Ukraine nicht tatsächlich, sondern rhetorisch entnazifiziert wird – und die Russen als die Nazis dastehen – handelt sich um nichts weiter als Projektion der eigenen, unerwünschten Persönlichkeitsanteile, die nur sichtbar gemacht werden können, indem sie auf ein anderes, vorzugsweise fremdes Gegenüber projiziert werden, um dort umso leidenschaftlicher und selbstgefälliger bekämpft zu werden.

Angesichts der Aufführungsverbote für russische Künstler (was kann Tschaikowsky für den Krieg in der Ukraine?), dem Verbot, öffentlich russisch zu sprechen und dem Verbot, in irgendeiner Weise für die „Entnazifizierung der Ukraine“ zu sein, bleibt wenig Raum für den Verdacht, wer in Wahrheit die Nazis sind. Immerhin ist es in vielen deutschen Bibliotheken wieder üblich, Autoren aufgrund ihrer ethnischen und kulturellen Identität zu verbieten – und es scheinen die Linksalternativen zu sein, die sich am meisten auf die nächste Bücherverbrennung freuen. Und das auch noch mit gutem Gewissen: Weil es ja diesmal nicht die jüdischen, sondern „nur“ die russischen Autoren trifft.

Offensichtlich hat die offizielle Aufbereitung der Vergangenheit genau das erreicht, was sie aus Gründen der politischen Zweckdienlichkeit leisten sollte: Sie hat unsichtbar gemacht, was wirklicher Faschismus ist.

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